War da was?
JA

RUHE Trauer um die FDP, grüne Kröten, Dünnschiss im Parlament und die absolute Mutti Merkel. Satiriker, Kabarettisten und eine Leserin denken über die Bundestagswahl nach

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Jasmin Al-Safi, 33, ist Gesellschaftsreporterin der Satiresendung Extra 3 im NDR

OB DA WAS WAR? Na klar! Die FDP ist nicht mehr im Bundestag! Satire ohne FDP ist wie Brüderle ohne Riesling. Geht, ist aber weniger lustig. Hach, ich werde die klassischen Brüderle-Alkoholikergags vermissen. Dass die AfD fast in den Bundestag gekommen wäre – das ist doch auch was! Faszinierend, dass eine Partei ohne stimmiges Konzept und fähige Leute so viele Stimmen bekommt. Damit wären wir auch schon bei der SPD. Die haben sogar zugelegt! (Ein Gabriel-Dickenwitz würde sich anbieten, aber ich bin noch in Trauer wegen Brüderle.) Die kleinen Parteien sind noch kleiner geworden. Grüne und Linke müssen langsam aufpassen, dass Merkel sie nicht aus Versehen beim Gähnen inhaliert. Ich baue jetzt stark auf Horst Seehofer. Der ist ja quasi wie Brüderle. Hat ein Problem mit Hochdeutsch, aber nicht mit Dirndln.

Dustin Hoffmann, 26, ist im Berliner Landesvorstand der Partei Die Partei

Als die Ergebnisse verkündet wurden, war schlagartig egal, dass der vorausgegangene Wahlkampf der ehemaligen Volksparteien jegliche Spannung vermissen ließ. Viele Jahre harte Arbeit und Dienst am Bürger haben sich am Wahlabend bezahlt gemacht, denn es ist uns gelungen, die größte der deutschen Spaßparteien mit großem Effet aus dem Parlament zu befördern. Der klägliche Versuch einer schmierigen Zweitstimmenkampagne hat nicht gefruchtet: Die PARTEI konnte erfolgreich so viele Zweitstimmen generieren, wie der FDP Stimmen zum Wiedereinzug ins Parlament fehlten. Aber selbstverständlich ist unsere Arbeit damit nicht beendet, aufmerksam verfolgen wir die Drohung der Liberalen, weiterzumachen. Nach diesem Sieg haben wir uns allerdings auch neue Ziele gesetzt: Bei der nächsten Wahl werden wir der Merkel zeigen, wie das mit einer absoluten Mehrheit funktioniert.

Dirk Stermann, 47, ist Satireautor und Kabarettist im Österreichischen Rundfunk

Ja, da war was. Für den Pisspott, friss dich platt, fang die Pille. Fast drei Prozent sagte man früher, heut schon vergessen. Flick, Otto Graf Lambsdorff, Wendepapier, geistig moralische Wende, Birnenrepublik. Genscher, Misstrauensvotum, Kohlwahl. Anwälte konnten wieder nur Geld verdienen wollen, von bürgerlich liberal zu wirtschaftsliberal, von Baum zu Mövenpick. Eine BRDigung. Ja, da war was, die Mutter aller Nussknacker SEDisierte die CDU. Endlich Einheitspartei. Von der DDR lernen heißt siegen lernen. Ja, da war was. Merke: Deutsche mögen kinderlieb, aber Kinderliebe nicht. Der sind sie nicht grün. Arznei für Durchfall steht auf meiner Reiseapothekenkohle. Jetzt ist’s eine Partei. Dünnschiss ins Parlament? Eben nicht. Sie haben’s ja nicht geschafft. Moment: Denkfehler eines Auslandsdeutschen. Doch Dünnschiss im Parlament! Sie haben’s ja nicht geschafft. Ja, da war aus österreichischer Sicht was: kein Milliardär zum Beispiel, der sich ins Parlament kauft. Gratulation. Da ist Deutschland demokratiepolitisch unkäuflicher.

Pierre M. Krause, 36, ist Autor, Schauspieler und Humorist in der Harald Schmidt Show

Klar, war da was. Die Grünen müssen nun die Kröte schlucken, die sie früher über die Straße getragen haben, und einzelne FDP-Karrieristen konvertieren nach jüngsten Gerichten zur Bayern-Partei. Imageberater haben Peer Steinbrück völlig umsonst Ecken und Kanten antrainiert, und Volker Kauder geht im Frühjahr mit den Toten Hosen auf Tour. So lange Mutti regiert, müssen wir uns aber sowieso keine Sorgen machen. Außer vielleicht die Kollegen von der „Heute“-Show: Ohne Brüderle und Roth sehe ich Schwarz fürs Inhaltliche.

NEIN

Serdar Somuncu, 45, ist Kabarettist, Musiker, Schriftsteller und Theaterregisseur

Es gab die Möglichkeit, Nein zu sagen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, die Möglichkeit, über den Umgang mit religiösen Minderheiten, mit Homosexuellen und unsere Haltung zur multikulturellen Gesellschaft nachzudenken. Wir hätten darüber sprechen können, ob die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinandergehen soll. Wir hätten eine Agenda für unser Image einer aufgeschlossenen Kulturnation im 21. Jahrhundert entwickeln und über Sinn und Unsinn von Überwachung und staatlicher Regulierung sprechen können. Wir hätten unsere Position in internationalen Krisen und unsere Nibelungentreue zu angeblichen Bündnispartnern hinterfragen können. Wir hätten über vieles sprechen und manches nachdenken können, aber wir haben Angst davor gehabt. So sind wir für die nächsten vier Jahre von mündigen Bürgern wieder zu Schutzbefohlenen geworden, die eine Impfung scheuen, weil sie die Anfälligkeit nicht spüren.

Luise Kinseher, 45, ist Kabarettistin und Schauspielerin aus München

War da was? Nein! Es bleibt alles so, wie es ist. Selbst wenn noch heute ein Komet den europäischen Kontinent komplett zerstören würde, Angela Merkel würde es aussitzen und dabei nicht mal ihre Garderobe wechseln. Das gefällt uns Deutschen! Ruhe bewahren, Sicherheit ausstrahlen. In gefährlichen Zeiten ist das die einzige, alternativlose Überlebensstrategie; eine Gewissheit, die sich in den Schützengräben und Luftschutzbunkern des Zweiten Weltkriegs tief in unserem kollektiven Gedächtnis festgesetzt hat und sich im Heute als Angela Merkel materialisiert. Die FDP mit ihrer Freiheit (was ist das eigentlich?) konnte sich da nicht mehr halten und machte sich vorsorglich unwählbar. Die Grünen befinden sich ebenfalls in einem Auflösungsprozess, und die SPD zeigt den Stinkefinger. Revolte von links? Wie denn? Unsere allseits beliebten Talkshow-Revoluzzer finden sich ja schon wahnsinnig toll, wenn sie nur bei Rot die Ampel überqueren.

Christoph Sieber, 43, ist Kabarettist. Gerade ist er mit „Alles ist nie genug“ auf Tour

Bundestagswahlen sind nur noch ein Relikt aus einer demokratischen Vergangenheit, als Politiker noch Vertreter des Volkes waren und nicht der verlängerte Arm der Wirtschaft. Schön, dass wir uns dieses Ritual trotzdem gönnen. Manche behaupten, der Liberalismus sei abgewählt worden. Da kann ich aber beruhigen: Es war nur die FDP. Und die war innerlich ausgebrannt. Je voller Brüderle wurde, desto leerer wurde die FDP. In ihren letzten Zügen war sie nur noch das trojanische Pferd, das den Lobbyisten aller Länder Einlass gewährt hat ins Innere der Demokratie. Diese Tradition werden die anderen Parteien zur Zufriedenheit der wirklich Mächtigen gern übernehmen. Und Mutti bleibt Kanzlerin. Wahrscheinlich auf Lebenszeit. 16 Jahre Kohl werden im Rückblick als kurze Zeitspanne gelten. Hoch lebe die Demokratie!

Anuschka Guttzeit, 46, ist taz-Leserin und hat unseren Streit der Woche per Mail beantwortet

„Wenn die nach der Wahl eine Große Koalition machen, erschieße ich mich“, sagte ein SPD-Wahlkämpfer neulich zu mir. Ob er noch lange lebt? Na ja. SPD und Grüne prangerten im Wahlkampf leidenschaftlich von ihnen selbst per Agenda 2010 verursachte soziale Missstände an. Jetzt sieht man, wie sich SPD und Grüne weigern, mit der Linkspartei zu regieren. Diese Chance ergreifen sie nicht. Das ist ein Schlag ins Gesicht ihrer Wählerschaft, die schrumpfen wird, weil SPD und Grüne sich wieder mal feige in die Büsche schlagen.