: Aufruhr im Grab der Untoten
Die Deutsche Oper feiert den 250. Geburtstag von Mozart mit einer Aufführung der Fragmente der Oper „Die Gans von Kairo“, die der Komponist nie vollendet hat
Oper ist eine mörderische Kunst. Es kann eigentlich nur schief gehen. Im Sprechtheater kann man sich auch mal durchmogeln, ein Versprecher ist nicht weiter schlimm. Nichts davon in der Oper. Ein falscher Ton ist eine Katastrophe, und dabei ist das Zeug unglaublich schwer zu singen. Unten im Saal sitzen erbarmungslose Leute, die rein gar nichts verzeihen.
Und selbst wenn – was schon ein Glücksfall ist – alles geklappt hat, sind sie noch lange nicht zufrieden. Sie suchen Sinn, wollen gerührt und gefesselt werden von Stücken, die kein vernünftiger Mensch im Theater aufführen würde: Meistens sind es ja nur notdürftig zusammengestrickte Vorlagen für die Stimmakrobaten.
Die Deutsche Oper hat in der letzten Zeit viel Erfahrung gesammelt mit dem Scheitern. Nach fast allen Premieren Buhgeschrei und Verrisse in der Presse. Zur Feier von Mozarts 250. Geburtstag hat sie genau das zum Thema gemacht: das Misslingen der Oper. Der Regisseur Roland Schwab hat mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Karin Fritz unter dem Titel „Fragmente“ etwas von Vornherein Unmögliches auf die Bühne gebracht, nämlich eine szenische Aufführung der „Gans von Kairo“. So sollte die Oper heißen, mit der Mozart den Erfolg seiner „Entführung aus dem Serail“ fortsetzen wollte. Aber das Textbuch war dermaßen schlecht, dass nicht einmal sein Genie ausreichte, daraus ein spielbares Musikdrama zu machen. Erhalten sind nur einige Szenen aus dem ersten Akt.
Natürlich ist das Fragment nicht aufführbar – aber welche Oper ist das wirklich? Wenn an der Bismarckstraße der Vorhang aufgeht, ist gerade eine Vorstellung von Mozarts „Zauberflöte“ zu Ende. Man sieht das Ensemble von hinten, das sich für den Schlussapplaus verneigt. Lautes Klatschen vom Band, sogar ein paar Blumensträuße fliegen ihnen zu. Aber dann fällt der Vorhang im Bühnenhintergrund, vor uns liegt eine düstere Grabkammer, in der spinnwebige, kalkweiße Gespenster in zerfetzten Kostümen des Rokoko herumkriechen. Einer beginnt am Klavier das Fragment eines Klavierstücks von Mozart zu spielen. Es sind nur wenige Takte erhalten. Danach Stille, nur die Kratzgeräusche der Untoten sind zu hören. Endlich rafft sich ein Sopran auf, wankt an die Rampe ins Scheinwerferlicht, ein Bariton schleicht herbei. Sie singen ein Duett aus der „Gans von Kairo“. Es ist bester Mozart, wundervolle Musik, und herrlich gesungen. Aber es nützt nichts, es ist alles nur ein verzweifelt sinnloser Aufruhr in dieser Unterwelt der Erfolglosen.
Zwei Stunden sind ihnen vergönnt, in immer neuen Anläufen den Erfolg in der Oper zu suchen. Außer den Fragmenten der „Gans von Kairo“ sind weitere Soloarien und Klavierlieder von Mozart zu hören, selten gespielte Stücke allesamt, überaus sorgfältig mit aller nötigen Kunst aufgeführt. Von einer Schaffenskrise bei Mozart ist nichts zu hören, das Wunder der Aufführung gelingt perfekt.
Aber es ist das Scheitern der Oper, das man am Ende verblüfft und um eine dialektische Erfahrung reicher beklatscht. Dass als vorletztes Stück auch ein Satz aus dem Requiem gespielt wird, das Fragment blieb, weil Mozarts Leben zu Ende war, gibt dieser Inszenierung ein metaphysisches Gewicht, das vielleicht nicht nötig gewesen wäre. Die „Gans von Kairo“ sollte eine Komödie werden. Aber tragisch ist es ja tatsächlich, dass diese Musik nur als Theaterleiche überlebt hat. Oper ist eben mörderisch.
NIKLAUS HABLÜTZEL
Nächste Aufführungen: 18., 21. und 23. 4., Deutsche Oper