: Der große Unbekannte
Wenn Erfolgszahlen sprechen könnten, müssten sie im Fall des Musikers Dave Matthews (38) schreien, bis sie heiser sind – trotzdem mag in Europa kaum jemand den US-Superstar erhören. Warum ist das so?
von DOMINIK SCHOTTNER
Taylor hockt vor dem Computer und sieht sich immer wieder dieselbe Sequenz eines Videos an: Ein Mann sitzt auf einem Hocker und spielt Gitarre. Dann greift Taylor zur Gitarre und spielt die Akkorde nach, die der Mann auf dem Bildschirm eben gegriffen hat. „Doin’ some Dave?“, blökt Clay. Es ist der Spätsommer des Lewinsky-Jahres 1998, ich bin 17 und für ein Jahr als Austauschschüler in Byron Georgia, einem durchschnittlich langweiligen Südstaatendorf. Clay ist hier mein bester Freund und Taylor ist seiner. Ja, Dave spiele er nach, antwortet Taylor: „Geiler Typ, nicht wahr?“ Ich, „the german“ also, müsse doch Dave Matthews kennen, den kenne doch wirklich jeder. „Nein, tut mir Leid“, sage ich, „ich kenne ihn nicht.“
In Deutschland sind Dave Matthews und seine Band heute noch immer ein Pop-Phantom, so wie Robbie Williams in den USA: bemüht und erfolglos in der jeweils anderen Popwelt, aber in der Heimat ein Star.
Anfang des Jahres 1991 will der gebürtige Südafrikaner Dave Matthews ein paar seiner Songs auf Kassette aufnehmen. Und weil das damals schon jeder tat, der drei Akkorde auf der Gitarre geradeaus spielen konnte, sucht sich Matthews in der Musikszene von Charlottesville, Virginia, wo er zu der Zeit wohnt, geeignete Mitspieler zusammen. Alleine kann schließlich jeder.
Es ist die Zeit des Grunge, der Musik der zornigen und gelangweilten weißen Mittelschichtjugend, die gerade über den Atlantik zu schwappen beginnt, die Geburtsstunde von Kurt Cobain und Nirvana, Eddie Vedder und Pearl Jam und Zack De La Rocha und Rage Against The Machine.
Angesichts dieses Trends ist es einigermaßen erstaunlich, dass der 1967 in Südafrika geborene Matthews mit Schwarzen und Weißen Musik zu machen gedenkt, die sich zwischen Grateful-Dead-Rock, Folk, Funk und Pop nicht entscheiden kann, die auf die südafrikanischen Wurzeln von Matthews zurückgreift und sich beim Reggae eine lockere Hüfte holt. Bis auf einen der Musiker, die Matthews damals gecastet hat, spielen heute noch alle in der Band: Schlagzeuger Carter Beauford, Saxofonist LeRoi Moore, der damals 16 Jahre alte Bassist Stefan Lessard, der Geiger Boyd Tinsley – seit 15 Jahren ein und dieselbe Mannschaft mit dem Akronym DMB.
In diesen 15 Jahren hat die Band allein in den USA über 35 Millionen Alben verkauft. Sie hat als Vorband von Neil Young in Europa gespielt, in den USA war das sogar umgekehrt. 13-mal war die Band bei den Grammys nominiert, zweimal hat sie einen gewonnen. Vier My-VH1-Awards hat die Band kassiert, zehn Livealben und neun Studioalben veröffentlicht, dazu noch je ein Soloalbum von Sänger Matthews und Geiger Tinsley.
1999 nahm DMB mit Konzerten 48,5 Millionen Dollar ein, gerade mal 16 Millionen weniger als die Ersten in der Liste, die weltweit tourenden Rolling Stones. Im Jahr 2003 haben rund 90.000 Matthews-Fans den Central Park bevölkert, wegen eines Benefizkonzerts zugunsten New Yorker Schulkinder. Und im vergangenen Februar charterte DMB unter dem Motto „Dave Matthews and Friends Caribbean Cruise Getaway“ zwei Kreuzfahrtschiffe, vermietete die Kabinen für 1.200 bis 2.400 Dollar an Fans, lud Dutzende Freunde zum Musizieren auf den Booten ein und lotste den ganzen Tross auf die Bahamas, wo DMB zum Abschluss der Reise selbst ein Konzert geben sollte.
Wenn so genannte Erfolgszahlen sprechen könnten, müssten sie im Fall DMB schreien, bis sie heiser sind. Trotzdem: In Europa würden DMB wohl gerade einmal Clubs für 600 oder 700 Menschen füllen. Und von denen wären dann mit ziemlicher Sicherheit 90 Prozent ehemalige Austauschschüler oder Amerikaner. Und es stimmt ja auch: Die Musik der Dave Matthews Band kickt nicht richtig.
Jedenfalls nicht nach den Maßstäben der hiesigen Musikmagazine, die wochenweise neue Bands ankarren müssen und die Definitionsmacht über gute und schlechte Musik zu haben scheinen und meinen.
Allein des unglamourösen Namens wegen aber kann die Dave Matthews Band gar nicht mit den Strokes konkurrieren, die einen mit fast jedem Song auf die Tanzfläche zerren wollen, oder mit We Are Scientists, die sich von der jüngsten Britpop-Hype-Welle haben herüberspülen lassen aus den USA.
„Secondhandmusik“ hat die FAZ die Musik von DMB einmal geschimpft, weil sie sich so vieler Genres bedient. Und in einem Internetforum stellte ein Verwegener sogar den, natürlich unhaltbaren, Vergleich mit Pur an, deren beflissene Fahrstuhlmusik in den USA schließlich auch niemand kennt.
Auch hier: Die Texte von DMB sind keine Blumfeld’schen, vor Intellekt strotzenden Pamphlete, keine hermetischen Weltschmerzzeilen.
Auch die Musik begründet keine eigene Sparte, sondern steht im Plattenregal unter dem langweiligen, nichts sagenden Label „Alternative Rock“ oder „Adult Alternative“. Gefallen aber darf, was gefällig ist. Andere amerikanische Bands wie die Counting Crows oder die Goo Goo Dolls haben mit ihrem viel seifigeren Pop, der das Hörzentrum ohne Anhalten und große Komplikationen passiert, hierzulande auch Erfolg.
Die Dave Matthews Band aber eben – leider – nicht. Dabei gehört sie sogar, politisch gesehen, zu den Guten. Schließlich nahm sie an der „Vote for change“-Tour im Jahr 2004 teil, mit der Künstler den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, John Kerry, unterstützten. Die Gründe für die nur mäßige Popularität liegen also woanders, und zwar bei BMG, der Plattenfirma, bei der die Band lange unter Vertrag stand: „Die Strategien von BMG und uns haben sich nicht ergänzt“, klagt Matthews im Gespräch mit der taz, „wir wollten keine lustigen Hüte oder Stiefel anziehen. Wir wollten auch auf dieser Seite des Atlantiks spielen.“ Mit der neuen Plattenfirma V2 Records ginge das viel besser.
Und so kommt es, dass Matthews alleine, ohne seine Band, jüngst einen Promo-Gig in London spielte. Vor 600 Leuten im King’s College hat Matthews das neue Album „Stand Up“ vorgestellt, das nach seiner Veröffentlichung in den USA im vergangenen Sommer binnen einer Woche fast 450.000-mal verkauft wurde. Einige der Leute in London haben bei Ebay für rund 450 Pfund, rund 650 Euro, Tickets für das Konzert ersteigert.
Am Tag nach dem Konzert erledigt Matthews auf dem Weg zum Flughafen mehrere Phoner, Telefoninterviews mit Journalisten. Die Verbindung ist schlecht, von Handy zu Handy, Funklöcher, Stottern, im Hintergrund der PR-Aufpasser, der sich eine Minute vor Ablauf des Gesprächs wieder in selbiges einbringt: „Eine Frage noch!“
Es ist eine seltene Gelegenheit, und vermutlich wollen deswegen alle Journalisten nur eines wissen: Wann kommt die Dave Matthews Band wieder nach Europa? Wann wird sie auch hier endlich erfolgreich? „Ich würde gerne öfter hier spielen, vor allem Open-Mic-Geschichten, die ich in den USA früher gemacht habe, und kleinere Veranstaltungsorte. Ich finde das großartig!“, sagt Matthews mit tiefer Whiskeystimme. Nein, eigentlich stottert er es, ein Sprachfehler, keine Aufregung.
Das Stottern kann man auch in manchen Songs hören oder noch besser: sehen, wie auf der hervorragend produzierten DVD vom Central-Park-Konzert, wo Matthews aus seinem Fehler einmal einen Rap macht und das New Yorker Publikum vollkommen ausflippt.
Es ist egal, wo in den USA man nach der Dave Matthews Band fragt. Jeder und jede, die seit 1991 dort ein College besucht hat, kennt die Band. Mindestens. „Wir hatten keinen Plattenvertrag, wir gaben keine Konzerte vor Fachpublikum, und wir waren auch nicht im Fernsehen. Die College-Studenten waren die Einzigen, die unsere Musik sofort mochten. Die waren unser Medium, unsere Marketingmaschine. Manche Leute kannten unsere Songs schon, da hatten wir noch keine einzige Platte veröffentlicht“, wundert sich Matthews. Das von der Band erlaubte und bei artverwandten Künstlern wie Bruce Springsteen, Phish oder den Grateful Dead abgeschaute Mitschneiden der Konzerte ersparte DMB damals die lästige PR-Arbeit – und wurde wenige Jahre später doch zu einem Problem: Weil in der USA vermehrt minderwertige Livemitschnitte der DMB-Konzerte verkauft wurden, beschloss die Band, mit staatlicher Hilfe dagegen vorzugehen.
Heute erlaubt die Band das Bootlegging aber wieder und verrät ihren Fans sogar, wie sie den Kopierschutz von „Stand Up“ knacken können, um die Musik auf den iPod zu ziehen.
Nur wenige Bands haben ein derart symbiotisches Verhältnis zu ihren Fans wie DMB. Sich in die Musik reinzuhören, sie zu mögen, das ist leicht. Von ihr wieder loszulassen, ungleich schwerer, denn es ist tatsächlich so kitschig, wie es klingt: Die Dave Matthews Band macht Musik für jede Situation im Leben, egal ob man euphorisiert auf der A 9 von München nach Berlin fährt und den großen Hit „Dancing Nancies“ bis zum Anschlag aufdreht und auf dem Lenkrad mittrommelt oder ob man, leicht alkoholisiert, auf der Couch liegt und sich mit Freunden das Central-Park-Konzert ansieht oder ob man einfach nur mal wieder an der Liebe verzweifelt, dem Job oder der Welt.
Mit so viel Beharrlichkeit und der Fähigkeit, es vielen recht machen zu können, kann mal als amerikanische Band schon mal auf Skepsis stoßen. Zumal in Deutschland, wo man es sich mit wunderlichen Knalltüten aus der Pop-Retorte nur allzu gerne bequem macht.