: Ein hoher Preis fürs Pferdeglück
Holger Sch. wirkt gar nicht sympathisch. Trotzdem war er unter Mädchen beliebt, denn er hatte einen Stall auf der Bahrenfelder Trabrennbahn. Und dort ließ er sie nicht nur Pferde streicheln, er missbrauchte die Kinder. Das Hamburger Landgericht hat ihn nun zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt
Von Elke Spanner
Wer Pferde hat, ist für kleine Mädchen ein Idol. Bis die Pubertät zuschlägt, bis es außer süßen Katzen und Ponys plötzlich auch „süße Jungs“ gibt auf der Welt, ist das Vertrauen in Pferdebesitzer meist bedingungslos. Wie kann jemand schlecht sein, der lieb zu diesen anmutigen Wesen ist?
Holger Sch. hat sich das schamlos zunutze gemacht. Er hat Mädchen, die seine Pferde pflegten, sexuell missbraucht. Drei Fälle hat die Staatsanwaltschaft zur Anklage gebracht. Zwei haben sich schon 1988 ereignet, einer im vorigen Jahr auf der Trabrennbahn Bahrenfeld. Gestern hat das Hamburger Landgericht Holger Sch. zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. „Erforderlich wäre, dass Sie selbst das Unrecht einsehen“, hielt der Vorsitzende Richter ihm vor. „Wir sehen leider nicht den geringsten Ansatz dazu.“
Holger Sch. bringt von sich aus nicht das Zeug zum besten Mädchenfreund mit. Er ist 48 Jahre alt. Sein Haar ist grau, die silbern umrandete Brille unmodern, und wollte man böswillig sein, könnte man in das schmale Gesicht mit dem großen Gebiss etwas pferdehaftes hineininterpretieren. Vor Gericht trägt Holger Sch. immer das gleiche hellblaue Jeanshemd, das er schon viele Jahre im Kleiderschrank hat. Nicht zuletzt der hinkende Gang nimmt der Gesamterscheinung jegliche Anmut. Er ist auch nicht für Humor oder eine väterliche Ausstrahlung bekannt, kurzum: Holger Sch. ist jemand, der sich Sympathien anderweitig erwerben muss.
Unter den Mädchen auf der Trabrennbahn aber war „der Holger“ beliebt. In anderen Ställen ist es schon toll, die Pferde mal putzen zu dürfen. Bei Holger Sch. durften die Kinder sogar reiten und im Sulky mitfahren. Sie haben es ihm gedankt, indem sie sich auf seinen Schoß setzten. Es war wichtig, ihn Zuneigung spüren zu lassen, denn wenn man es sich mit Holger verscherzte, war es auch mit dem Pferdeglück vorbei. Stallverbot für Lisa, als sie herumerzählte, Holger habe einem Mädchen an den Po gefasst. Stallverbot für eine andere, die Gerüchte über Nacktfotos verbreitet hatte. Auf der anderen Seite gab es Geschenke: Der 48-Jährige hat den Mädchen Klamotten mitgebracht.
„Alle haben ihn gemocht, sonst wären sie doch nicht auf seinen Schoß gegangen“, sagte die zwölfjährige Tammi vor Gericht. Ihr hat er mal an den Po gefasst, als sie auf sein Pferd „Sugar“ aufstieg. Da ist doch nichts dabei, sagte sie, er habe ihr nur helfen wollen. Und doch erinnert sie sich exakt an diesen Moment, obwohl er schon viele Monate zurückliegt.
Am 29. Mai 2005 trifft Tammi im Stall Meike und Nathalie (Namen geändert). Eigentlich mag sie die Achtjährigen nicht. Heute aber sind sie seltsam still, also fragt sie, was ihnen denn über die Leber gelaufen ist. Erst zögern sie. Dann erzählen sie doch, dass sie am Vortag bei Holger in der Wohnung waren. Er habe von beiden Fotos gemacht, für die sie sich ausziehen mussten. Peinlich war das. Dann habe Holger Nathalie gebadet. Als sie nackt im Wasser saß, hat er sie erst abgeseift und dann „befingert“, wie Tammi es nun vor Gericht formuliert. Was das genau heißt? Tammi kichert verlegen. „Hast du Nathalie gefragt, ob sein Finger irgendwo drinnen war?“, hakt der Richter nach. „Ja“. Schweigen. „Und wo?“ Man versteht es kaum, als Tammi schließlich flüstert: „In der Mimi.“
Ein anderer Begriff dafür würde ihr niemals über die Lippen kommen. Schon gar nicht hier, wo fremde Männer zuhören. Auch im Reitstall hat zuvor keines der Mädchen in Worte gefasst, was Holger gemacht haben soll. Zwei Mal ist er einschlägig vorbestraft. In einem Fall soll er ebenfalls ein achtjähriges Mädchen mit dem Finger traktiert haben. In einem anderen Fall wurde er zu 18 Monaten Haft verurteilt, weil er ein 15-jähriges Mädchen in eindeutiger Pose fotografierte und die Bilder übers Internet verkaufte. Alle wussten davon, irgendwie. Tammi hat sogar selbst schon einmal Nacktfotos von Kindern in der Wohnung von Holger Sch. entdeckt, „unter einem Laken“. Trotzdem sagt sie jetzt nur vage, dass „da schon mal irgendwas mit Fotos und Mädchen war“.
Tammi ist bereits in einem Alter, in dem neben die Pferdeliebe noch etwas anderes tritt. Geschminkt und mit schulterfreiem Shirt betritt sie das Gericht an einem regnerischen Tag. Tammi ist eine wichtige Zeugin, weil sie die Erste war, der sich Meike und Nathalie im vorigen Mai anvertrauten. Sie hat gemerkt, wie schwer es den Kindern fiel, das Erlebte auszusprechen. Sie hat sie weinen sehen. Und doch sagt sie, dass sie ihnen „irgendwie nicht richtig glaubt“. Dafür müsste sie sich eingestehen, selbst jahrelang den falschen Mann verehrt zu haben, und dazu ist Tammi nicht bereit.
Vor der Polizei hatte die Zwölfjährige ausgesagt, dass sie mit ihrer Freundin Lisa sogar einmal gemutmaßt hatte, „der Holger würde bestimmt mal auf die Idee kommen, ein kleines Mädchen zu vergewaltigen“. So steht es im Protokoll, so hat sie es vor Beamten formuliert, doch jetzt weiß sie nichts mehr davon.
Der Vater von Nathalie sagt außerhalb der Verhandlung, dass auf der Rennbahn „alle von den Vorstrafen wussten, nur wir Eltern nicht“. Offiziell aber sind die Gerüchte nicht bis in die Führungsetage vorgedrungen. Er sei selbst erst seit eineinhalb Jahren auf der Trabrennbahn beschäftigt, sagt Geschäftsführer Herbert Klatte der taz. Er habe zuvor nicht einmal den Namen von Holger Sch. gekannt, beteuert Aufsichtsrat Jürgen Hunke, Ex-Boss von HSV und Statt-Partei. „Bei den tausenden Pferdebesitzern können Sie nicht jeden kennen.“
Doch wer jetzt vor Gericht auftritt, bestätigt, dass die Vorgeschichte von Holger Sch. ein „offenes Geheimnis“ war. Aus einer Verurteilung im Jahre 2002 hatte der 48-Jährige sogar die Bewährungsauflage, sich nicht in die Nähe von Kindern zu begeben, und trotzdem war sein Stall immer voller pferdeliebender Mädchen. Die haben von den Gerüchten zu Hause nichts erzählt, aus Angst, dann nicht mehr zu den Pferden zu dürfen. „Für sie war der Besuch auf der Trabrennbahn etwas ganz Besonderes“, so das Gericht. Und viele Eltern haben ihre Töchter offenbar den ganzen Tag in der Obhut dieses Mannes gelassen, ohne ihn selbst jemals zu Gesicht bekommen zu haben. Das ist die andere Richtung, in die hier ein Vorwurf gehen muss.
Holger Sch. gibt zu, dass er Meike und Nathalie fotografiert hat, nackt. Die beiden Achtjährigen aber hätten das selbst gewollt, behauptet er und lehnt sich selbstgefällig auf seinem Holzstuhl zurück. Holger Sch. verschränkt die Arme vor der Brust, schlägt ein Bein über das andere und dann erzählt er seine Version. Er hätte Meike und Nathalie damals mitnehmen müssen, nachdem ihre Eltern sie bei ihm „abgeladen“ hätten. In seiner Wohnung dann hätten die beiden Nacktfotos anderer Kinder gesehen und gesagt, solche Bilder hätten sie gerne auch von sich. Der Richter hält Holger Sch. vor, dass unter den Fotos auch solche sind, die die Kinder in eindeutigen sexuellen Posen zeigen. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Kind von alleine so posiert.“ Der Angeklagte: „Ich finde daran nichts Schlimmes.“
Was er tat, befand sich lange in einem Grenzbereich dessen, was nur moralisch fragwürdig oder schon strafrechtlich relevant ist. Überschritten hat er die Grenze klar, als er Nathalie badete, am ganzen Körper abseifte und seinen Finger einführte. Dass er das tat, streitet Holger Sch. indes ab. Im gerichtsmedizinischen Gutachten aber steht etwas von Verletzungen, die „typischerweise entstehen, wenn versucht wird, einen Gegenstand oder Finger einzuführen“.
Gegen Ende des Prozesses tritt Katja V. in den Zeugenstand. Katja V. hat sich bei der Polizei gemeldet, als sie aus der Zeitung von der Festnahme von Holger Sch. erfuhr. Als kleines Mädchen war die heute 25-Jährige auch nach Pferden verrückt. Sie hatte Reitunterricht in einem Stall bei Quickborn, wo damals auch Holger Sch. seine Pferde hatte. Irgendwann hatten ihre Eltern keine Zeit mehr, sie regelmäßig in den Reitstall zu fahren. Holger Sch. hat sie deswegen weinen sehen. Da hat er ihr angeboten, sie fortan von zu Hause abzuholen und zu den Pferden zu fahren.
Dann aber kam es zu zwei Situationen, über die die junge Frau nun nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit berichten möchte. Kurz zusammengefasst: Holger Sch. ist mit ihr mehrfach zu einem Wald gefahren, hat sie unsittlich angefasst. Eines Tages dann hat er ihr einen Finger in den After gerammt. Sie wehrte sich, sprang aus dem Auto, versteckte sich im Wald. Später ist sie zur Straße zurückgelaufen und nach Hause getrampt. Ihre Mutter, der sie sich anvertraute, hat die Übergriffe nie angezeigt.
Holger Sch. leugnet auch diese Situation, die sich ungefähr 1988 abgespielt haben muss. „Ich würde niemals ein neunjähriges Mädchen alleine auf der Straße stehen lassen“, behauptet er. Der Staatsanwalt verliert kurz die Fassung, schleudert ihm entgegen: „Sie haben noch ganz andere Sachen gemacht.“ Holger Sch. ist kühn genug, mit einer Gegenfrage zu erwidern: „Was denn?“
Der medizinische Gutachter sagte, die Uneinsichtigkeit von Holger Sch. sei ein Problem. Denn wenn er sich nicht therapeutisch behandeln lasse, sei die Gefahr eines Rückfalls nach der Haftentlassung groß. Und doch bleibt der Justiz nicht mehr, als den Angeklagten einzusperren. „Man müsste darüber nachdenken, bei Tätern wie Ihnen anschließende Sicherungsverwahrung zuzulassen“, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer.
Auch Meike und Nathalie mussten ihre Erlebnisse noch einmal vor Gericht schildern, immerhin unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Richter hätte den heute Neunjährigen die Situation gerne erspart. Aber das geht nicht, solange Holger Sch. die Vorwürfe bestreitet. Er bestand darauf, die Mädchen zu hören. „Wir werden es kurz machen“, versprach sein Anwalt Bernd O. Weber.
Es wurde kurz. Sehr kurz sogar. Nach wenigen Minuten ist die kleine Meike aufgesprungen und aus dem Saal gerannt.