AYGÜL ÖZKAN UND IHRE KIRCHLICHEN KRITIKER : Exodus für alle
Gott und die Welt
Die neue niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) hat zweimal für Unruhe gesorgt: einmal deshalb, weil sie die Entfernung von Kruzifixen aus niedersächsischen Schulen forderte, dann – nachdem sie diese Forderung zurückgezogen hatte – weil sie ihren Amtseid „So wahr mir Gott helfe“ kommentiert hat.
Sie gab zu Protokoll, dass sie sich dabei auf jenen Juden, Christen und Muslimen gemeinsamen Gott, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, bezog – eine Äußerung, die ihr die Missbilligung der evangelischen und katholischen Kirche des Landes Niedersachsen eintrug. Die Vertreter der Kirchen fühlten sich bemüßigt, darauf hinzuweisen, dass der sich im Koran offenbarende Allah ein durchaus anderer Gott sei als der des christlichen Glaubens. Özkan habe also wichtige Unterschiede vertuscht.
„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben“, heißt es in der 1949 verfassten Präambel des Grundgesetzes. Nichts deutet darauf hin, dass der hier genannte Gott der christliche ist. Vielmehr waren die Verfassungsmütter und -väter einsichtig genug, zu verstehen, dass sich menschliche Bilder von Gott erheblich unterscheiden können, womit noch nichts über das Wesen Gottes selbst gesagt ist.
Womöglich ist es daher an der Zeit, etwas spekulative Theologie zu betreiben und die niedersächsischen Kirchenvertreter einer ängstlich abwehrenden Bewahrtheologie zu überführen. Zunächst die biblischen Befunde: Im Unterschied zum allgemeinen Vorurteil, der Gott des Alten Testaments habe sich nur dem Volk Israel zugewandt, liest man schon beim Propheten Amos, (9,7) folgende Frage Gottes: „Seid ihr nicht wie die Söhne und Töchter von Kusch für mich, ihr Söhne und Töchter Israels? Habe ich nicht Israel heraufgeführt aus dem Lande Ägypten und die Philister aus Kaftor und Aram aus Kir?“ Amos lässt Gott nicht weniger sagen, als dass er nicht nur Israel, sondern auch Nubier (die Kuschiten), Philister und Aramäer zu einem befreienden Exodus geführt hat, er also nicht nur mit Israel, sondern auch mit anderen Völkern eine eigene Freiheitsgeschichte hat.
Diese Überzeugung wird auch durch das Neue Testament bestätigt, und zwar gerade dort, wo es am intolerantesten klingt. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Nur durch mich gelangt ihr zu Gott“, sagt der johannäische Jesus in ungebrochenem Selbstbewusstsein und absolutem, beinahe hybridem Wahrheitsanspruch (Joh 14,6). Kurz zuvor stellte er aber ebenso autoritativ fest: „Im Hause Gottes sind viele Wohnungen, wäre es nicht so, hätte ich dann gesagt: Ich gehe, um euch eine Stätte zu bereiten“ (Joh 14,2). Dieses Bekenntnis zu einem offensiven Religionspluralismus vertraut glaubend darauf, dass sich Gottes Präsenz unter und bei den Menschen ganz verschieden ausdrücken kann, ohne deswegen von minderem Wert zu sein.
Das lässt sich auch philosophisch begründen: Gute Argumente auch aus der christlichen Tradition sprechen dafür, dass die Menschen mit ihrem begrenzten Erkenntnisvermögen nicht alle Eigenschaften des in jeder Hinsicht unendlichen Gottes kennen können. Von daher lässt sich nicht ausschließen, dass Gott sich – so Amos und Johannes – anderen Gruppen von Menschen anders offenbart hat und somit der Vorwurf der Kirchen an Özkan Ausdruck mangelnder Reflexion und geringen Gottvertrauens ist; die Haltung von Funktionären, die ängstlich auf die Bewahrung des eigenen Bestandes bedacht sind, statt Freude darüber zu empfinden, dass eine Muslimin im christlichen Glauben denselben Gott erkennt wie in ihrer eigenen Religion. Gewiss ist niemandem mit der Behauptung einer unterschiedslosen Sauce von Glaubensüberzeugungen gedient, im Gegenteil: Anerkennung und Dialog der Religionen vollziehen sich erst in Kenntnis verstandener Unterschiede. Daher gilt: Infrage steht – wenn man sich überhaupt auf theologische Fragen nach Gott einlässt – nicht, ob er derselbe ist, sondern welche der ihm von den Gläubigen zugeschriebenen Eigenschaften wesentlich sind.
Diese Frage solidarisch zu erörtern und Antworten auf ihre Lebenstauglichkeit hin zu überprüfen, ist die Aufgabe, die sich der am 12. Mai in München beginnende Ökumenische Kirchentag stellt; ein Kirchentag, auf dem nicht nur Christen, Juden und Muslime ihren Glauben präsentieren werden, sondern auch Hindus und Buddhisten.
■ Micha Brumlik ist Publizist und Professor für Erziehungswissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main