in fußballland : Als der Postansagedienst populär war
CHRISTOPH BIERMANN über die – retrospektiv gesehen – schier unglaubliche Ahnungslosigkeit eines Fußballfans anno 1981
Seit dem Jahr 2003 bin ich Abonnent eines Pay-TV-Kanals, in dem ich alle Bundesligaspiele live sehen kann. Seit dem Jahr 2000 besitze ich ein Mobiltelefon, auf dem ich Kurzmitteilungen erhalten kann, die mich über den Zwischenstand in der Bundesliga informieren (würde ich den nötigen Dienst abonnieren). Seit dem Jahr 1998 verfüge ich über einen Internetanschluss, der mir eine ständig wachsende Fülle von Informationen über Fußball liefert. Und bereits vor mehr als zehn Jahren erwarb ich einen Fernseher mit Videotext, der mir jedes Tor in der Bundesliga mit nur kurzer Verspätung nach reicht. Vorher war ich ahnungslos.
Kein Mensch, der heute unter 30 Jahre alt ist, kann sich nur annähernd vorstellen, wie ahnungslos ein Fußballfan an einem Freitagabend anno 1981 sein konnte. Damals wurden Bundesligaspiele um 19.30 Uhr oder um 20 Uhr ausgetragen, über deren Ausgang im Sendebereich des Westdeutschen Rundfunks eine Sportsendung ab 21 Uhr informierte. Auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen lieferte zu einem späteren Zeitpunkt entweder in der ARD oder im ZDF Zusammenfassungen der Freitagsspiele. Die mediale Grundversorgung war also gesichert, doch was machten vergnügungssüchtige Menschen, die zu Beginn des Abends ins Kino gingen und anschließend in die Kneipe? Auf welche Weise erfuhr man in den frühen Morgenstunden eines Samstags im Jahre 1981, wie etwa das Bundesligaspiel des VfL Bochum in der Grotenburg Kampfbahn zu Uerdingen ausgegangen war?
Ganz einfach: Man rief an. Mein Telefon war grün und hatte eine Wählscheibe. (Das ist ein Satz, der sich ähnlich liest wie: „Die Langobarden benutzten Ochsenkarren, um die Alpen zu überqueren“). Ich meine, dass die betreffende Nummer 01121 lautete, ohne darauf bestehen zu wollen. Auf jeden Fall gehörte sie zum kleinen Kosmos der so genannten Postansagedienste, bei denen man sich über das Kinoprogramm der Stadt informieren konnte, über allgemeine Sportnachrichten sowie Fußballnachrichten im Besonderen. War die Wählscheibe zum letzten Mal zurückgesurrt, war man sicher durch, denn besetzt war die Nummer nie. Am anderen Ende lief nämlich ein Tonband, und das muss man sich wörtlich so vorstellen. In einer Endlosschleife zog es seine Runden und natürlich stieg man nie an der Stelle ein, zu der man wollte. Meistens hörte man zunächst „ …trennten sich 2:2 unentschieden“, und man wusste nicht, ob es das Ergebnis aus Uerdingen war, das aus Duisburg oder Karlsruhe. Also musste man die Ansage durchhören, etwa die komplette Mannschaftsliste von Bundestrainer Jupp Derwall fürs Länderspiel gegen Österreich in Wien. Oder es war die Auslosung der zweiten Runde im Europapokal der Landesmeister, der Pokalsieger und des Uefa-Cups zu verkünden. (Borussia Mönchengladbach würde sich noch wundern, als sie gegen den FC Dundee rausflogen.)
Das dauerte ewig oder fühlte sich zumindest so an, wirklich schlimm war es aber am Samstagabend. Dann war zwar von Auslosungen im Europacup und der Besetzung des Kaders des Nationalteams keine Rede mehr, doch waren die Ergebnis der Auswahlwette 6 aus 45 zu verlesen. Bei dieser langsam aussterbenden Form der Fußballwette mussten aus 45 Partien sechs ausgewählt werden, die Remis endeten. So durfte man sich durch einen bunten Strauß von 45 Ergebnissen aus deutscher Bundesliga, First Division aus England oder Serie A aus Italien hören. Stieg man auf dem Band erst bei der zehnten Partie ein, hatte man längst eine schweißnasse Hand, bis die Mitteilungen endlich wieder am Anfang waren und die leicht metallische Frauenstimme verkündete: „Der Sportinformationsdienst Düsseldorf meldet …“ Aus Uerdingen meldete er meistens eine Niederlage, woran man sieht, dass beschleunigte Information nur ein relativer Fortschritt ist.