KATHARINA GRANZIN CRIME SCENE : Killer in der Klinik
Mit den Jahren entwickelt man beim Krimilesen eine rechtschaffene Hartgesottenheit. Verwesende Leichenteile, verspritzte Hirnmasse, aus Bauchhöhlen hängende Eingeweide – ganz egal, über alles kann ich (hinweg)lesen, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch dieses Mal, dieses eine Mal musste ich aufschreien vor Entsetzen und virtuellem Schmerz. Auch dem abgebrühtesten Genrejunkie würde sich so eine Autofibulektomie wohl nachhaltig ins Bewusstsein bohren. Wie kreativ man doch ein Medizinstudium nutzen kann!
Josh Bazells Erstling „Schneller als der Tod“ ist voller Überraschungen und von kilometertief abgründigem Humor. Ein fantastischer kleiner Geniestreich, vor allem angesichts der unwahrscheinlichen Genremischung, die diesem Thrilleramalgam zugrunde liegt. Es ist, als habe jemand „Emergency Room“, „Die Sopranos“ und „24“ aus ihrem angestammten Medium entführt und gemeinsam durch eine Literaturzentrifuge gedreht. Dabei käme im Normalfall natürlich nur blutiger Blödsinn heraus. Dass Josh Bazell – der Literatur und Medizin studiert hat – dieses Buch schrieb, während er gleichzeitig im Krankenhaus arbeitete, macht die Sache erst recht wundersam.
Einen Hinweis darauf, wie diese Tour de force möglich werden konnte, gibt der Roman selbst. Denn dessen Protagonist, auch er Assistenzarzt, überlebt seine schlaflose 24-Stunden-Schicht nur mithilfe der Bombenfliegerdroge Moxfan. Dieser junge Mann mit dem Normalonamen Peter Brown hieß einst Pietro Brnwa und hatte vorher einen anderen Job: Profikiller für die Mafia. Nur mithilfe eines Zeugenschutzprogramms hat er aussteigen und Medizin studieren können. Als ein alter Bekannter als Patient eingeliefert wird, droht Peters Tarnung aufzufliegen.
In eindrucksvoller Parallelverarbeitung werden in der Folge zwei Handlungsstränge bedient, im Rückblick Peters/Pietros Laufbahn als gefürchteter Topkiller aufgerollt, während gleichzeitig die Jetzthandlung im Krankenhaus ihren unaufhaltsamen Fortgang nimmt. Beide werden sich im – angesprochenen – fulminanten Ende treffen. Bis dahin kommen weder Medizin noch Erotik noch Zeitgeschichte zu kurz, und immer wenn man denkt, jetzt begebe der Autor sich auf Abwege, ist man selbst garantiert auf dem Holzweg.
■ Josh Bazell: „Schneller als der Tod“. Aus dem Amerikanischen von Malte Krutzsch. Fischer, Frankfurt a. M. 2010, 300 Seiten, 18,95 Euro