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Archiv-Artikel

„Sitzen war nie unser Ziel“

Neue, elektronische Musik ist zum Experimentieren da und soll vor allem Spaß machen. Finden Daniel Matz, Swen Harport und Christine Gemmer, die Veranstalter der „Rock Paper Scissor“-Partys

INTERVIEW JAN DIMOG TANJUAQUIO

taz: Ist Berlins Elektro-Partyszene so langweilig, dass es „Rock Paper Scissor“ braucht?

Christine Gemmer: Ja, vor allem ist es traurig! Es gibt nur wenige Möglichkeiten, gute, elektronische Musik zu hören. Da dachten wir: machen wir es selbst und schaffen eine Plattform für Künstler, die ihre Sachen durchkomponieren und bei denen jeder Ton an seinem Platz ist.

Zur Premiere kamen 800 Leute – woher rührt dieser noch immer große Bedarf an tanzbarer, elektronischer Musik?

Daniel Matz: Die Techno-Sparte ist abgedeckt, aber sonst? Dass mal was Neues aus Berlin kommt, das seh ich nicht.

Gemmer: Vielleicht weil man denkt, dass es sehr spezielle Musik ist, fast wie Neue Klassik. Bei der Masse kommt so was nicht gut an, auch weil die Musik anspruchsvoll ist. Dass unsere Party in Chatforen heiß diskutiert wird, freut uns natürlich und zeigt den Bedarf.

Was genau ist das Konzept?

Matz: Alles was gegen den aktuellen Musikstrom geht, ist uns recht. Aber es soll greifbar bleiben. Musik um der Kunst willen wäre schlecht, weil uns auch das Emotionale wichtig ist. Bei uns soll man fern von allen Regeln gute Musik machen, sich nicht an ein Schema passen, also: Ich mach jetzt Drum ’n’ Bass, House oder Techno, sondern – ich mach Musik.

Aber eine Party ist es schon, oder wollt ihr MärzMusik und Club Transmediale Konkurrenz machen?

Matz: Auf jeden Fall ist es eine Party! Wir sind nicht so intellektuell wie jetzt bei MärzMusik, Club Transmediale passt schon eher. Es wird nie eine Party sein, die nur Noiseflächen hat und deshalb nicht greifbar ist. Sitzendes Publikum ist nicht unser Ziel.

Was meint „Rock Paper Scissor“?

Matz: Rock steht für die Kraft in der Musik, auch für das Zerschlagen von Beats. Scissor ist für das Technische und Trickreiche und Papier für das Vielschichtige und Geheimnisvolle. Das Tolle ist, dass die Künstler, die bei uns auftreten, diese Elemente in ihrer Musik vereinen. Sie sind immer wieder anders und überraschend. Und sie machen niemals Standardsachen

Wie innovativ ist elektronische Musik derzeit?

Matz: Vor allem: utz-utz-utz!

Swen Harport: Genau! Was die Weiterentwicklung elektronischer Musik angeht, gab es zu allen Zeiten Pioniere, die mit Musik rumexperimentiert haben, auch in den 20ern. In den 40er-Jahren war es Daniel Schnitzler, dann Trautwein, Kraftwerk, dann House, Techno und jetzt Elektro. Aber die Experimentierfreudigkeit ist verloren gegangen. Künstler wie Aphex Twin und Mouse on Mars hingegen sitzen lange an ihren Songs und feilen an jedem Detail.

Matz: Techno ist Musik für Taube. Ich will nicht gemein sein, aber bei Techno geht es um den Impuls in der Musik, der sehr treibend ist und irgendwann zur Trance führt. Man geht auf die Partys, nimmt die entsprechenden Hilfsmittel ein und los geht’s. Bei uns geht es letztendlich darum, dass die Musik die Droge ist.

Warum wird in Berliner Clubs immer noch Techno gespielt?

Matz: Weil der Großteil der Partyleute auf diese einfache Kost abfährt.

Harport: Man darf das Feierpotenzial nicht vergessen. Manche gehen auf eine Technoparty, um sich zuzudröhnen und abzufeiern. Im Berghain und der Panorama Bar (allgemeines Stöhnen) ist es erstaunlich, wie sich Minimal-Techno durchgesetzt hat, was dem Publikum dann als Elektro verkauft wird. Für mich ist Elektro in erster Linie diese 808-Geschichte, also die Drum Machine. Was heute als Elektro abgeschwartet ist, ist totaler Schwachsinn, weil das einfach nur Minimal ist. Minimal, der sich nicht weiterentwickelt.

Der jetzige Elektro-Stil ist nur kaschierter Techno?

Harport: Was für eine Musikrichtung genau gespielt wird, bleibt oft unklar. Die Übergänge sind natürlich fließend. Partyleute schnappen was auf, denken, es ist elektronisch, also Elektro, und eigentlich läuft da öder Techno. Auf der anderen Seite: es gibt Künstler, die langweilige, beliebige Musik machen. Mich interessieren Künstler, die das Maximum aus den Geräten holen und im Hafen von Malmö rumrennen, um dort Samples aufzunehmen. Ich will keinen runtermotzen, aber einige Artists schalten ihre Synthies ein, benutzen die vorgegebenen Sets und Loops, das war’s dann. So was kann ich einfach nicht mehr hören!

Rock Paper Scissor, 5. 5., Live: Jimmy Edgar (Warp Records), Secede, Phlex, Jens Strüver, 2BS u. a., ab 23 Uhr, Station Park, im Görlitzer Park, Görlitzer Straße 1–2, www.rockpaperscissor.de