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Archiv-Artikel

Vom Schlagen und vom Büßen

KINO ARGENTINIEN Filmen in der Diktatur: Eine Reihe zum argentinischen Kino erzählt im Zeughauskino bis Ende Mai von dem rebellischen Aufbruch und der symbolischen Bildsprache in den Filmen aus den 70er- und 80er-Jahren

VON ANDREAS RESCH

Seit einiger Zeit schon ist das argentinische Kino in seinen unterschiedlichen Ausprägungen international äußerst präsent. Namen wie Daniel Burman, Rodrigo Moreno oder Lucrecia Martel sind mittlerweile auch einem größeren Publikum ein Begriff. Die argentinischen Filme der Siebziger-, Achtziger- und der frühen Neunzigerjahre hingegen, jenes Kino also, von dessen mit Symbolik aufgeladenen Erzählstrategien sich die jüngeren argentinischen Filmemacher oft abgrenzen, sind zumeist weit weniger bekannt.

Überwiegend zu Unrecht, wie eine Reihe zum „Filmland Argentinien“ belegt, die bis Ende Mai im Zeughauskino zu sehen ist. Das Gros der hier gezeigten Dokumentar- und Spielfilme ist klar politisch ausgerichtet.

Mal geht es wie in „Quebracho“ von Ricardo Wullicher um die Ausbeutung von Holzarbeitern während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mal, wie in Raúl Alberto Tossos „Gerónima“, um das Schicksal einer Frau vom Stamm der Mapuche, die am Culture Clash zwischen indigener und staatlich verordneter Lebensweise zerbricht.

„La Patagonia rebelde“ von Héctor Olivera, mit dem die Reihe morgen Abend beginnt, erzählt von den Aufständen der patagonischen Bauern gegen die britischen Gutsbesitzer in den frühen 1920er-Jahren. Der Film setzt ein mit einer Suspense-Szene, die in aller Ausführlichkeit die Morgenroutine eines Offiziers zeigt und die schließlich in seiner Ermordung kulminiert, um dann auf der Zeitachse zurückzuspringen und die Ereignisse Revue passieren zu lassen, die zum Mord geführt haben. Ein pulsierender Soundtrack sowie perfekt rhythmisierte Schnittfolgen machen Oliveras Film auch ästhetisch interessant.

In andere Werke schleicht sich die Systemkritik quasi durch die Hintertür auf die Leinwand. Etwa in „Camila“ von María Luisa Bemberg, der in seiner betulichen Fernsehspielästhetik allerdings arg konventionell daherkommt. Mitte des 19. Jahrhunderts verlieben sich eine junge Bürgerstochter und ein katholischer Priester unsterblich ineinander. Hin und her gerissen zwischen den gesellschaftlichen Konventionen und ihrer flammenden Leidenschaft entschließen sie sich zur Flucht – und müssen dafür mit dem Leben bezahlen.

Theatralische Gesten

Zwar ist Bembergs Film durchaus ambitioniert in seinem Versuch, Staats- und Familienbild während der Regierungszeit des Diktators Juan Manuel de Rosas einander reflektieren zu lassen und somit ein umfassendes Porträt einer patriarchalischen Gesellschaft mit rigiden, religiös begründeten Unterdrückungsmechanismen zu zeichnen, doch scheitert „Camila“ letztendlich an der eigenen Gefühlsduselei. Im Zweifelsfall tendiert der Film stets ein wenig zu penetrant zur großen, theatralischen Geste.

Ebenfalls zur Theatralik neigend, darin jedoch alles andere als konventionell ist „Gatica, el Mono“ von Leonardo Favio: ein schrill-buntes Jahrmarktspektakel über das Leben und Sterben der argentinischen Boxlegende José María Gatica, genannt el mono – der Affe –, in dem die Leiden der Bevölkerung unter dem Perón-Regime in immer wieder eingestreuten dokumentarischen Szenen en passant miterzählt werden.

In seiner zyklischen Erzählstruktur, die beinahe gänzlich darauf verzichtet, den Aufstieg Gaticas aus ärmlichsten Verhältnissen zum berühmtesten argentinischen Boxer der Vierzigerjahre und frühen Fünfzigerjahre nachzuerzählen und stattdessen in surreal anmutenden Bilderfolgen dessen sexuelle Eskapaden ins Blickfeld rückt, ist „Gatica, el Mono“ – ästhetisch Fellini näherstehend als „Rocky“ – einer der außergewöhnlichsten Boxfilme überhaupt. Phänomenal sind hier die Ringszenen, die in ihrer Inszenierung radikal mit dem übersteigerten Naturalismus klassischer Boxfilme brechen.

Oft sieht man die Gesichter der Kämpfer in Großaufnahme von ihrer Umgebung isoliert. In einer Art elliptischem Zeitraffer wird nicht mehr der gesamte Kampf, nur noch die auf die Kämpfer einprasselnden Schläge werden gezeigt. Das Ganze ist von choralartigen Gesängen unterlegt, welche die Fights zu nicht enden wollenden Bußritualen werden lassen.

■ „Filmland Argentinien“ beginnt morgen um 20 Uhr mit „La Patagonia rebelde“ und ist noch bis zum 30. Mai im Zeughauskino zu sehen. Programm unter: www.zeughauskino.de