: Liebe im Wahn
Über Monate stellte Sandra D. der Modedesignerin Jil Sander nach: schrieb immer wieder Briefe, rief an, bedrohte schließlich Sander und deren Lebensgefährtin. Wegen Stalkings kommt die 33-Jährige jetzt in die Psychiatrie. Zur ärztlichen Behandlung sah das Gericht keine Alternative
Von Elke Spanner
Und dann wird ihr schon wieder das Leben schwer gemacht. Sandra D. verschränkt die Arme hinter dem Kopf, blickt zur Decke und verharrt in dieser Stellung, während sie die Urteilsbegründung über sich ergehen lässt. Ein Jahr und drei Monate Haft, abzusitzen in der geschlossenen Psychiatrie: D. ist fassungslos. Ausführlich hatte sie dem Hamburger Landgericht dargelegt, wie sie verfolgt worden sei: 300-mal habe die Modeschöpferin Jil Sander bei ihr angerufen. Dann drehte das Gericht den Spieß um – und erklärte Sandra D. zur Stalkerin. „Die Angeklagte ist krank“, so der Vorsitzende. „Sie leidet unter einem Verfolgungs- oder Liebeswahn“.
Seit 1999 hat die heute 33-jährige Sandra D. Jil Sander verfolgt. Zunächst schickte sie ihr ein selbst geschriebenes Buch zum Geburtstag. Dann folgten Briefe, immer wieder. Mal mit umwerbendem Inhalt, mal mit Beschimpfungen, auch Drohungen. Dazu kamen Telefonanrufe, bei Jil Sander und deren Lebensgefährtin. Zwischen Oktober 2004 und März 2005 gipfelten diese Anrufe in Drohungen. „Jil wird sterben“, kündigte Sandra D. einmal an. Ein anderes Mal teilte sie mit, dass sie sich freue, deren Freundin zu töten, „die Hure“.
Eine Beziehung, die nie bestand
Sandra D. hat das alles ganz anders erlebt. Sie hat sich vor Jahren in Jil Sander verliebt. Las in der Zeitung vom Comeback der Designerin, und da funkte es bei ihr. Soweit ein alltägliches Geschehen. Jetzt aber kommt ihre Krankheit ins Spiel. Sandra D. steigerte sich in eine Beziehung hinein, die nie bestand. Natürlich war die bekannte Modeschöpferin unerreichbar für sie. Also bildete sie sich ein, Kontakt gehabt zu haben und dass auch ihr Opfer in sie verliebt sei – ein klassischer Fall von Liebeswahn. Rund 300-mal habe die Sander bei ihr angerufen, darauf beharrt sie noch jetzt im Gerichtssaal und wirft die langen dunklen Haare mit einer ruckhaften Kopfbewegung zurück. „Dazu stehe ich.“ Immer wenn sie etwas über die Modeschöpferin in der Zeitung gelesen hatte, habe bei ihr das Telefon geklingelt. „Die Telefonanrufe“, sagt das Gericht, „könnten akustische Halluzinationen gewesen sein.“
Stalking an sich ist keine psychische Erkrankung. Der Begriff beschreibt zunächst nur das Verhalten: das Nachstellen, Verfolgen, Belästigen. Rund zehn Prozent aller Fälle aber gehen auf einen „Liebeswahn“ zurück. Sehr viel häufiger sind Männer die Täter, 80 Prozent der Stalker sind männlichen Geschlechts, doch im krankhaften Bereich dreht sich das Verhältnis um. Wenn Frauen stalken, handeln sie oft im Wahn.
Oft sind Prominente ihre Opfer. Menschen, die völlig unerreichbar sind. Steffi Graf, Madonna und Steven Spielberg haben solche Erfahrungen gemacht. Oft aber sind es auch frühere Freunde oder entfernte Bekannte, an deren Liebe die Stalkerin fest glaubt. Im Wahn dann verschwimmen Realität und Phantasie. Die Kranke glaubt tatsächlich zu erleben, was nur Ausdruck ihres Wunsches ist.
„Es ist typisch bei Leuten mit Wahn, dass sie keine Krankheitseinsicht zeigen“, erklärt der Psychiater Peer Briken vom Institut für Sozialforschung und forensische Psychiatrie der Uniklinik Hamburg-Eppendorf gegenüber der taz. „Wenn sie sich in Behandlung begeben, kommt es oft unter Zwang dazu.“
Auch Sandra D. wird zur Psychiatrie verurteilt. Sie selbst beharrt darauf, nicht krank zu sein. Sie ist eine kleine, schmale Frau. Ihr Gesicht ist auffallend blass. Es hat sich ein Ausdruck eingegraben, der als Trotz erscheint oder als Leid, je nach Situation. Mehrere Jahre hat sie schon in der Psychiatrie verbracht, ist auch einschlägig vorbestraft. Als sie sich 1997 von einem Mann verschmäht fühlte, warf sie ein Messer nach ihm. In ihrer eigenen Darstellung aber ist ihr Leben eine Abfolge von Mobbing und Verfolgung. „Ich bin von einer Scheiße in die andere geraten“, erklärt sie dem Gericht. Andere aus ihrer Umgebung, mit denen sie irgendwann Probleme bekam, bezeichnet sie als psychisch krank. Sich selbst nicht.
Nicht nur lästig für die Gesellschaft
Die mangelnde Einsicht hat das Gericht dazu gebracht, von einer ungünstigen Sozialprognose für Sandra D. auszugehen. Weit ist das Gericht mit seinem Urteil über das hinausgegangen, was der Staatsanwalt gefordert hatte. Der verlangte in seinem Plädoyer eine sechsmonatige Bewährungsstrafe und lehnte die Einweisung in die Psychiatrie ab. „Die Gesellschaft muss leben können mit Mitbürgern, die sich nicht sozial adäquat verhalten“, sagte er. „Man kann nicht jeden einsperren, der lästig ist.“
Die psychiatrische Sachverständige hingegen regte einen Klinikaufenthalt von zwei Jahren an. Auch das Landgericht sah keine Alternative zu einer ärztlichen Behandlung. Denn Sandra D. sei nicht nur lästig für die Gesellschaft, ihre Taten hätten vielmehr eine ständige Steigerung erfahren. Zuletzt hatte sie einen Nachbarn im Streit mit Besenstiel und Staubsauger angegriffen. „Sie bedarf umfassender ärztlicher Versorgung.“
Bei richtiger Behandlung sind die Heilungschancen für Psychosen und „Liebeswahn“ nicht schlecht. Da es an der Krankheitseinsicht mangelt, kommt es oft erst durch einen Prozess dazu. Anordnen darf ein Gericht die Unterbringung in der Psychiatrie allerdings nur dann, wenn in Zukunft mit erheblichen Straftaten der Angeklagten zu rechnen ist. Diese Bedingung sah der Staatsanwalt gestern im Falle von Sandra D. nicht erfüllt. Er gehe davon aus, sagte er in Anschluss an den Prozess, „dass das Urteil vom Bundesgerichtshof aufgehoben wird“.