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Archiv-Artikel

Identitätskonflikt bei Kuchen in Warschau

AUS DER KAWIARNIA NOWY SWIATGABRIELE LESSER

„Verführerisches Europa“ oder „Verteidigung des nationalen Interesses“? Den meisten Gästen im Café Neue Welt auf Warschaus gleichnamiger Prachtstraße fiel die Entscheidung nicht schwer. Bei Cappuccino und europäischen Leckereien wollten sie am Europatag mehr hören über das „Verführerische“ an Europa und der EU. Doch vor der Kür stand die Pflicht. Bevor der Schriftsteller Krzystof Lipinski seinen Traum von einem tatsächlich gemeinsamen Ost- und Westeuropa erzählen konnte, berichtete Stanislaw Komorowski aus dem polnischen Außenministerium über die aktuelle EU-Politik von Polens Regierung. Statt Süßem bot er hartes Brot.

Komorowski dozierte über die „größte Herausforderung“, vor der die polnische Regierung zur Zeit stehe: „Nach zwei Jahren Mitgliedschaft in der EU fühlen wir das Bedürfnis, unseren Platz in der EU zu definieren.“ Die EU sei Polen freundlich gesinnt, und auch Polens nationale Sicherheit sei in der EU gut aufgehoben. „Dies sind gute Ausgangsbedingungen“, so Komorowski, „um mit gesundem nationalem Egoismus an die Mit- und Neugestaltung der EU zu gehen.“ So hätten die alten EU-Staaten nur durch Polens Engagement in Weißrussland begriffen, dass die Unterstützung der Freiheitsbewegung im EU-Anrainerstaat zum ureigensten Interesse der EU gehöre. „Das ist das Pfund, mit dem wir in der EU wuchern können: unsere historische Erfahrung. Wir haben durch die Solidarität die Freiheit erkämpft. Durch uns wird die EU wieder Solidarität lernen.“

Lipinski rutschte schon leicht ungeduldig auf dem Barocksofa hin und her. Der Krakauer Schriftsteller wollte endlich seine Geschichte über das „Verführerische Europa“ loswerden. Lange vor dem Fall der Berliner Mauer und dem späteren mühsamen Wiederzusammenwachsen von Ost und West habe es schon das „Projekt Mitteleuropa“ gegeben, so Lipinski: Österreich-Ungarn als eine Art Prototyp der Vereinigten Staaten Europas. Die gemeinsame Geschichte aber diene heute vor allem zur Hervorhebung des Trennenden, zur Selbstvergewisserung in mythischem Nationalstolz und zur eigenen Aufwertung gegenüber anderen Nationen, beklagte der Autor. „Dabei hat jeder von uns viele Identitäten. Ein Regensburger ist auch Bayer, Deutscher und Europäer.“ Daneben könne er noch Christ oder Atheist sein, Arbeiter oder Forscher, Frau oder Mann, fügte Lipinski hinzu. Wer sich als „nur Pole“ oder „nur Deutscher“ verstehe, sei noch kein Europäer. „Das Verführerische an Europa aber ist, wenn wir einmal sagen: „Wir Polen und Deutsche“.