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Archiv-Artikel

Das große Dennoch

KIRCHENTAG Auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag mussten sich die Bischöfe ungewohnt heftiger Kritik ihrer Basis stellen. Die Pfiffe gegen Kirchenobere, der Applaus für Reformforderungen werden in Erinnerung bleiben

Die Reform kommt von unten, dies war auf dem Kirchentag in München zu sehen

AUS MÜNCHEN JAN FEDDERSEN UND PHILIPP GESSLER

Was sprach nicht alles vor seinem Auftakt gegen dieses Ereignis: Im Januar noch schleppte sich der Kartenvorverkauf so hin, dass die Veranstalter ein Desaster befürchten mussten. Obendrein war die Idee der Ökumene zumindest vonseiten der katholischen Kirche seit dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin vor sieben Jahren tüchtig sabotiert worden – es war für die deutschen Protestanten schwer zu verkraften, dass zwei Päpste ihnen attestierten, eigentlich nur eine Glaubensgemeinschaft zu sein, also keine echte Kirche. Und dann die ganze Chose mit dem sexuellen Missbrauch samt aller Enthüllungen über die selbstverständliche Gewaltbereitschaft katholischer Kleriker noch bis in jüngste Zeit, gegen Kinder und Schutzbefohlene. Das trug zur Stimmungsaufhellung der katholisch Gläubigen nicht eben bei. Der 2. Ökumenische Kirchentag war womöglich tot, ehe er begonnen hatte.

Und dann das Wetter! Das klamme, kalte Wetter im Wonnemonat. Leben große Feste der Gläubigen nicht auch von Sonnenstrahlen? In München konnte man dagegen in diesen Tagen leicht sich selbst eine Himmelfahrt wünschen. Dazu die kühle Atmosphäre überfunktionaler Messehallen, die allzu oft auch noch nur halb gefüllt waren und in denen selbst 2.000 Menschen verloren wirkten. Die Nähe oder Enge, die einen Kirchentag erst zu einem opulent-christlichen Kuschel-Event macht, mag insofern vermisst worden sein.

Am Ende strahlten die Gesichter der Würdenträger und Verantwortlichen dennoch, seien es die von Bischof Robert Zollitsch und dem Kirchentagspräsidenten Alois Glück auf katholischer Seite, seien es die von seinem evangelischen Kollegen Eckart Nagel oder Präses Nikolaus Schneider auf protestantischer Seite.

127.000 Menschen hatten miteinander gefeiert, gesungen, geweint, gelacht, diskutiert und sicher auch körperlich in der ein oder anderen Form Nähe empfunden. Das ist also die Nachricht: Die Evangelischen wie die Katholischen vermieden während dieser Tage, die Konflikte, etwa ums Abendmahl, auf die Spitze zu treiben. Sie wollten es miteinander aushalten.

Der Kirchentag mit seinen rund 3.000 Veranstaltungen war natürlich wieder so bunt, ja widersprüchlich, wie solche Massenveranstaltungen des Glaubens eben immer sind. Und gerade bei den eher kleinen ökumenischen Feiern in München war dann doch das typische Kirchentagsgefühl zu spüren: dass man eben zusammengehört trotz aller Unterschiede und der Gesellschaft etwas zu sagen hat.

Übrigens waren es gerade die großen Podien zum Thema Missbrauch, die dabei eine Art karthatische Wirkung hatten. Dass der Missbrauchsbeauftragte der deutschen katholischen Bischöfe, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, auf einer dieser Megaveranstaltungen vor geschätzten 6.000 Leuten in einer riesigen Halle Buhrufe und Pfiffe erntete, wenn es auch nur so aussah, als wolle er der Kritik an der katholischen Hierarchie wegen ihrer zunächst zögernden Aufarbeitung des Missbrauchsskandals ausweichen – das waren Momente des Kirchentags, die hängen blieben und ihn erst zu sich selber führten. Den Klerus und seine Hierarchen soll man nicht kritisieren dürfen? Nicht mit uns! Und mehr als ein Zeichen war, dass alle und jeder, die sich auch nur zaghaft für die Priesterweihe von Frauen, gegen den Zwangszölibat und für demokratischere Strukturen in der katholischen Kirche einsetzten, zuverlässig mit tosendem Beifall bedacht wurden.

Die katholische Kirche in Deutschland ist dem warmen Bad des Ökumenischen Kirchentages anders entstiegen, als sie in es eingetaucht war. Ihre Bischöfe, nicht gewohnt, sich plenaren Versammlungen und deutlicher Kritik zu stellen, mussten sich prüfen lassen. Und ob es ihnen gefiel oder nicht, ihre Schäfchen werden sie aus der Übung wohl nicht mehr entlassen.

Den Oberhirten wird es schwerfallen, diesen Weckruf zu ignorieren, wenn es manche denn so gehofft hatten. Das war die eigentliche Utopie dieses Kirchentags – dass die Glaubenszweige des Christentums sich nicht mehr separieren lassen, zumal die Orthodoxen ebenfalls mit einigen Veranstaltungen Präsenz zeigten. Die Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags, Ellen Ueberschär, geht davon aus, dass der Dialog nach diesen fünf Tagen nicht unterhalb dieser Intensität fortgesetzt werden kann.

Die konfessionellen Nahbemühungen haben freilich auch die Stärke zumindest evangelischer Kirchentage eher schwächelnd gezeigt: die der politischen Intervention. Ob nun Angela Merkel, Thomas de Maizière, Kristina Schröder, Sigmar Gabriel, Petra Pau, Cem Özdemir oder Katrin Göring-Eckardt: Sie, als Teile der Elite der Berliner Republik, bekamen nur selten tüchtig zugesetzt – die Anstößigkeit des Politischen, sonst eine Domäne volkskirchlichen Engagements, fand im Kirchenvolk eher sparsamen Ausdruck.

Mag Christian Weisner von der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ in seiner Bilanz des Kirchentags spitz von einer „Friedliche-Koexistenz-Ökumene“ reden – am Ende war der Ökumenische Kirchentag eben doch eine weltweit einmalige Selbstermächtigung des Christenvolks, gleichgültig welcher Konfession. Die Reform kommt von unten, dies war in München zu sehen.

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