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Archiv-Artikel

Die Legende vom Free-TV

VERDACHT Das Bundeskartellamt hat Büroräume von ProSiebenSat.1 und RTL durchsucht. Die beiden Senderketten sollen sich bei der Verschlüsselung ihrer Digitalprogramme abgesprochen haben – ein alt bekannter Vorwurf

Versuche, das Free-TV zu verschlüsseln und kostenpflichtig zu machen, mag das Kartellamt nicht

VON BERNHARD HÜBNER (MÜNCHEN) UND JÜRN KRUSE (BERLIN)

Das Kartellamt nennt es ganz spröde ein Bußgeldverfahren. Der Auftritt der Beamten war dagegen ungleich spektakulärer. Am Mittwoch ließen die Wettbewerbshüter an insgesamt fünf Standorten Büros von RTL und ProSiebenSat.1 durchsuchen. Der Verdacht der Behörde: Die Privatsender-Giganten haben sich womöglich abgesprochen, ihre digitalen Free-TV-Programme in Zukunft verschlüsselt und kostenpflichtig auszustrahlen. Dazu sollen sich die Unternehmen auf einen Kopierschutz und eine technische Sperre gegen das Überspringen von Werbeblöcken geeinigt haben. RTL und ProSiebenSat.1 bestätigten die Durchsuchungen, wollen sich zu den konkreten Vorwürfen aber bislang nicht äußern.

Schon seit Jahren versuchen die beiden großen deutschen privaten TV-Konzerne gemeinsam über die Hintertür, aus ihren digitalen Sendern ein bisschen Pay-TV zu machen. Und schon seit Jahren streiten sie deswegen mit dem Kartellamt: 2006 bereits hatten RTL und die ProSiebenSat.1-AG versucht, ihre digitalen Programme nur noch verschlüsselt über die Satellitenflotte von Astra anzubieten. Nicht nur die Fernsehzuschauer regten sich auf. Auch die Behörde drohte, dass zu viel gemeinsame Sache der zwei Konzerne, die den deutschen Privatfernsehmarkt de facto unter sich aufgeteilt haben, als unerlaubte Absprache gewertet würde.

Damals entschied sich Astra, eine eigene gebührenpflichtige digitale Satelliten-Plattform namens „Entavio“ aufzubauen. Dort hätten auch die Privatsender aufspringen können. Doch Ende 2006 verabschiedete sich die ProSiebenSat.1 Media AG von solchen Plänen – und ganz allein wollte auch RTL den Schritt nicht wagen.

Dabei bereuen die privaten TV-Senderketten, dass sich in Deutschland – anders als in Großbritannien oder Frankreich – seit Mitte der 90er-Jahre der freie TV-Empfang über Satelliten etabliert hat und sie nichts zusätzlich verdienen. Und der 2006er-Flop bewies, dass das Rad der Zeit nicht einfach zurückgedreht werden kann: Der Zuschauer wird nicht plötzlich für etwas bezahlen, was er bisher frei Haus bekommt.

Trotzdem werden es die beiden großen TV-Familien weiterprobieren. Denn mithilfe der Verschlüsselung könnten RTL und ProSiebenSat.1 nicht nur an zusätzliche Einnahmen kommen, weil nur gucken kann, wer zahlt. Die Zuschauer würden aus ihrer Anonymität kommen, man könnte sie individuell adressieren – ein alter Traum der Werbebranche. „Pay-TV light“ nannten die für die Privatfunk-Aufsicht zuständigen Landesmedienanstalten das Modell.

Doch aus Sicht des Kartellamts kann man den Fall „Entavio“ nicht mit den aktuellen Vorwürfen vergleichen. Damals ging es nur um die digitale Verbreitung über Satellit. Der Verdacht, den man derzeit untersuche, gehe viel weiter, sagte Kartellamtssprecher Kay Weidner. Der Stein des Anstoßes war wohl auch diesmal die Satellitenübertragung, doch Weidner betonte, dass auch andere Übertragungswege betroffen sein könnten.

Vor wenigen Monaten hatten beide Sender hochauflösende TV-Programme (HDTV) gestartet, die nur verschlüsselt über den Satellitenbetreiber SES Astra zu empfangen sind. Der will in Zukunft jährlich 50 Euro für diese HD-Programme verlangen – offiziell eine „Servicegebühr“. Gegen ähnliche Versuche, Free-TV-Programme zu verschlüsseln und kostenpflichtig zu machen, ist das Kartellamt bisher stets energisch vorgegangen.

„Es ist mit Sicherheit keine neue Erkenntnis für die Branche oder für uns, dass man bestimmte Dinge gerne gemeinsam machen möchte“, sagt Kartellamtssprecher Weidner.

Bereits nach der Einstellung des Verfahrens 2006 hatte das Kartellamt gedroht, dass „bei einem Wiederaufgreifen des Geschäftsmodells“ das Verfahren fortgeführt würde. Neu sei nun, dass es einen erhärtbaren Verdacht gegen die zwei Unternehmen gebe. Das eingeleitete Bußgeldverfahren befinde sich noch in einer frühen Phase, so Weidner. Bis solche Verfahren zu Sanktionen führen, kann es allerdings Monate dauern.