AMERICAN PIE : Traurige Gestalten
NBA Die New York Knicks wollten wieder mal nach den Sternen greifen. Schon nach ein paar Spielen scheint klar: Das wird wohl nichts
Gäbe es einen Preis für das derzeit traurigste Gesicht der NBA, Mike Woodson wäre gewiss ein Kandidat für diese Auszeichnung – wegen seines Auftritts am Sonntagnachmittag auf der Pressekonferenz im Madison Square Garden. „Wir haben heute einfach nicht gekämpft“, trauerte der Trainer der New York Knicks ins Mikrofon und zog die Mundwinkel dabei noch etwas weiter nach unten, als er es ohnehin üblicherweise tut.
Gerade hatten die Hausherren mit 89:120 gegen die San Antonio Spurs verloren, wurden dabei regelrecht vorgeführt von den routinierten Texanern. „Ich kann unsere Leistung so nicht akzeptieren.“ In nunmehr sechs Saisonspielen gab es schon vier Niederlagen. Das bekannt meinungsfreudige Knicks-Publikum quittierte das Desaster mit lautstarken Buhrufen.
Walt Frazier, legendärer Spieler der Meistermannschaften 1970 und 1973, heute TV-Experte, war die Ratlosigkeit am Sonntag anzumerken. „Die Spurs kommen viel zu leicht zum Korb, die Verteidigung existiert ja gar nicht. Immer wieder steht jemand frei, die Knicks sind dauernd zu spät“, stöhnte der 68-Jährige.
Innerhalb nur einer Sommerpause sind die Knicks aus der gehobenen Klasse der Liga ins graue Mittelfeld zurückgefallen. Diverse Ergänzungsspieler, nicht namhaft, aber wichtig für das Mannschaftsgefüge, stehen nicht mehr im Kader, als Verstärkungen ausgelobte Neuzugänge gingen am eigentlich gravierenden Nachholbedarf in der Defensive vorbei. Der Kern der Mannschaft ist intakt geblieben, offenbart nun aber seine großen Schwächen. So gehört weiter einzig Center Tyson Chandler zur gehobenen Verteidigungsklasse, fällt allerdings wegen eines Wadenbeinbruchs, den er sich in der vergangenen Woche zugezogen hat, vorerst aus.
Schon gegen San Antonio wurde Chandler schmerzlich vermisst. Gleichwertigen Ersatz gibt es nicht. „Wir müssen einfach aggressiver werden“, betonte nun Flügelspieler Andrea Bargnani. Der 2,13-Meter-Mann kam zu Saisonbeginn von den Toronto Raptors und galt noch in keinem seiner bisher sieben Karrierejahren als Ausbund an Verbissenheit oder gar Defensivstärke.
Trotzdem nahm das Management den zudem verletzungsanfälligen Italiener im Sommer unter Vertrag – und dessen brutal überdimensioniertes Gehalt, das in diesem Jahr knapp elf Millionen US-Dollar beträgt. Teamkollege Amar’e Stoudemire verdient in gleichen Dimensionen und ist gar noch verletzungsanfälliger. Vorzeigespieler Carmelo Anthony ist neben Bargnani und Stoudemire der dritte Großverdiener im Team – und der einzige Akteur von wahrem Format.
Es ist ein Rückfall in längst verdrängte Zeiten. Gerade zu Beginn der Jahrtausendwende war New York bekannt und verlacht für üppige Verträge von allenfalls durchschnittlichen Spielern, die die eigene Gehaltsliste über Jahre belasteten. Zwischen 2001 und 2010 wurden acht Mal die Playoffs verpasst. Seitdem aber schien der Klub auf einem guten Weg, am Ende der letzten regulären Saison stand mit 57:25 die beste Siegesbilanz seit 1997. Dann kam die Sommerpause 2013.
„Alles, was sich die Knicks seit 2010 wieder aufgebaut hatten, scheint vergessen“, konstatierte TV-Kommentator Mike Breen. Der Kader scheint so nicht imstande, über sich hinauszuwachsen – auch wegen des miserablen Starts. Trotzdem soll der langjährige Klubchef James Dolan allen Ernstes die Meisterschaft als Saisonziel ausgegeben haben. Dolan gilt als eitler Pfau ohne jedwede Basketball-Expertise, als Hauptverantwortlicher der Horror-Jahre. Der Chef eines US-Kabelanbieters wollte schon mal eine Ordnerin entlassen, weil diese ihn nicht erkannt hatte. Die eigene PR-Abteilung verhinderte Schlimmeres.
Zum Hadern mit der Klubführung bleibt Trainer Woodson keine Zeit – von ihm werden Ergebnisse gefordert. Das viel beschworene – und wahnwitzige – Motto „Win now“ ist allgegenwärtig, auch im Selbstverständnis der Basketballstadt New York. „Es ist meine Aufgabe, die Spieler zu Bestleistungen zu treiben“, sagt Woodson. „Ich weiß, dass wir besser sein können.“ Das traurigste Gesicht der NBA hat er derzeit trotzdem. DAVID DIGILI