: Ein Orden von der strengen Observanz
OSTEUROPÄISCHES KINO II Der rumänische Regisseur Cristian Mungiu folgt in „Jenseits der Hügel“ zwei jungen Frauen ins Kloster
Wer auf Gott vertraut, muss genau auf die Balance achten. Denn man kann sowohl zu stark als auch zu schwach auf Gott vertrauen. Und sobald das richtige Maß verloren geht, kann selbst Gottvertrauen zu einer Sünde werden. Dies ist die schmerzhafte Erfahrung von Alina, einer jungen rumänischen Frau in Cristian Mungius Film „Jenseits der Hügel“.
Alina hat Aufnahme in einem Frauenkloster gefunden, und nun sitzen die geistlichen Schwestern um sie herum und lesen ihr einen Sündenkatalog vor. So soll sie lernen, sich selbst zu überprüfen.
Es ist ein Orden von der strengen Observanz, wie man früher gesagt hätte: Nichts wird hier leicht genommen, höchstens einmal ein paar Vokabeln, die jüngere Schwestern einander bei einem Spiel zuwerfen, mit dem sie sich die Zeit während ihrer monotonen Tätigkeiten vertreiben. Sie erweitern ihren Wortschatz um Begriffe wie „Pendant“ und amüsieren sich darüber, dass sie diese Begriffe eigentlich nicht brauchen in ihrem abgelegenen Leben.
Ab und an Butterfahrten
Das Kloster auf dem „neuen Hügel“ liegt in einer armen Provinzregion von Rumänien, Strom gibt es hier nicht, nur gelegentlich fahren die Schwestern in den nächsten Ort, um dort einzukaufen und ihre Produkte zu verkaufen. Ein bärtiger Geistlicher steht der Gemeinschaft vor, er ist ein Außenseiter in der orthodoxen Kirche des Landes, wie man aus der einen oder anderen Nebenbemerkung schließen kann.
Vieles bleibt implizit in „Jenseits der Hügel“, so auch der Umstand, dass die Kirche in Rumänien eigentlich eine starke, auch wohlhabende Quasistaatskirche ist, von der sich das Kloster auf dem neuen Hügel sektiererisch abgespaltet hat. Freiwillige Armut ist eines der Differenzmotive, es ist ein besonders resonantes in einem Land, in dem unfreiwillige Armut nach wie vor weit verbreitet ist.
Alina kommt in diese Gemeinschaft durch ihre Freundin Voichita, mit der sie ein gemeinsames Schicksal teilt: Beide kommen aus dem lokalen Waisenhaus, sie sind Mädchen ohne sozialen Rückhalt, sie stehen einander sehr nahe, doch nun, da Voichita Gott gefunden hat, gilt für ihre Liebe das gleiche wie für das Gottvertrauen. Zu viel wäre Sünde.
Alina kommt zu Beginn aus Deutschland zurück, von wo sie eine Perspektive für sich und ihre Freundin mitgebracht hat: Sie könnten beide „auf ein Boot“ gehen, gemeint ist wohl ein Kreuzfahrtschiff, und dort arbeiten. Doch ein Nervenzusammenbruch oder eine hysterische Krise machen es erst einmal erforderlich, dass Alina wieder zu Kräften kommt.
Konstellativ gebrochen
So findet sie Aufnahme unter den Schwestern, aus deren Runde sie herausfällt, weil sie keine Tracht trägt und auch sonst nicht dazugehört – sie ist, konstellativ gesprochen, die entscheidende Differenzfigur in einem Film, der in der bewährten Manier des neuen rumänischen Kinos an einer äußerst detaillierten, nuancierten Registratur sozialer, weltanschaulicher, emotionaler Beziehungen arbeitet.
Mit „Vier Monate, drei Wochen, zwei Tage“, der Geschichte einer illegalen Abtreibung in den späten Tagen des kommunistischen Ceausescu-Regimes, hat Cristian Mungiu einen der zentralen Filme der rumänischen „Neuen Welle“ gemacht. Mit „Jenseits der Hügel“ schließt er nun mehr oder weniger direkt daran an, stilistisch gibt es kaum Unterschiede, auch im engeren Sinne kinematografisch ist die entscheidende Kontinuität gewahrt: Oleg Mutu ist erneut der Kameramann, dessen zugleich völlig selbstverständlich anmutenden, eigentlich aber ungeheuer komplexen Einstellungen einen Film ergeben, bei dem Sehen und Hören immer zugleich auch Entziffern einer (in diesem Fall sehr fremden) Welt ist.
Mungiu will mit „Jenseits der Hügel“ auf zentrale Logiken der Moderne hinaus (Körper/Seele, Religion/Wissenschaft, Partizipation/Dissidenz), und verbindet diese mit der imposanten, aber auch bedrückenden Sozialgeschichte der rumänischen Transformation nach 1989, die das rumänische Kino seit Jahren schreibt. BERT REBHANDL
■ „Jenseits der Hügel“. Regie: Cristian Mungiu. Mit Cosmina Stratan, Cristina Flutur u. a. Frankreich/Belgien/Rumänien 2012, 150 Min.