: „Wir nehmen’s nicht so superernst“
TETRIS Das Computerspielemagazin „Game One“ ist eine der letzten anarchischen Inseln bei MTV. Ein Besuch
AUS HAMBURG MICHAEL BRAKE
Winterhude. Stadtpark. Grauer Himmel. Daniel „Budi“ Budiman scheucht, in Montur eines American-Football-Trainers, ein Dutzend Cosplayer – als Videospielfiguren verkleidete Jugendliche – über eine riesige Wiese. Hinter einer Baumgruppe erlegt derweil Simon Krätschmer ein zweiköpfiges Eichhörnchen mit einem Golfschläger.
Ein ganz normaler Drehtag bei „Game One“, dem aktuell einzigen Computerspielemagazin im deutschen Fernsehen (mittwochs, 21.30 Uhr, MTV). Zwei bis drei umfangreiche Spieletests präsentieren Simon und Budi pro Sendung, drum herum gruppieren sich Meldungen und lose Rubriken wie „Ausgegraben“, „Top 5“ oder „Mod ist ihr Hobby“ – immer von vorne, schnell geschnitten und mit einem derben, manchmal dezent infantilen Humor.
„Dieses ‚Wir nehmen’s jetzt nicht so superernst‘ hat MTV erst nicht so gern gehabt“, sagt Simon in einer Drehpause. Deswegen halfen die „Game One“-Macher ein wenig nach: „Wenn die uns was rausgeschnitten hatten, haben wir es einfach auf YouTube gestellt“, so Simon. Etwa den Einspieler „Half Life in 60 Sekunden“: „Der hat heute fünf Millionen Klicks. Da hat man dann natürlich eine Argumentationsgrundlage.“
Alle Beiträge zeichnet eine beinahe übertriebene Liebe zum Detail aus. Die Sequenzen aus den Computerspielen, die sogenannten In-Game-Szenen, werden immer wieder von selbst gedrehten Minieinspielern unterbrochen. Das Kampfsystem des Rollenspiels „Final Fantasy XIII“ wird eben anhand der Footballtrainer-Metapher erklärt, und dass es der 13. Teil ist, mithilfe von 13 Berlinern („13 leckere Teilchen!“). Zu den albernen Kostümen und Requisiten kommen kleine Animations- und Grafikspielereien der Post Production – auf der Wiese wird in der fertigen Sendung neben Budi noch ein Riesenungeheuer stehen.
Produziert wird das alles mit einen Minibudget. Improvisieren gehört bei „Game One“ zum Arbeitsalltag, gesendet wird aus einem winzigen Studio irgendwo in einem Industriegebiet im Osten Hamburgs, Atmosphäre und Organisationsgrad am Set erinnern mitunter an eine Gruppe Jungs, die gerade lustige Videos für den Freundeskreis dreht. Bis heute hat sich „Game One“ Anmutung und Charme eines Fanzines erhalten. Man fühlt sich an frühe Viva-Tage erinnert – oder gar daran, wie experimentell, unfertig und rau MTV selbst mal war.
Inzwischen sucht „Game One“ im MTV-Germany-Programmschema, das von US-amerikanischen Animationsserien, Reality-, Dokusoap- und Dating-Formaten dominiert wird, seinesgleichen. 2006 reichten Simon und Budi, die beide in der Games-Redaktion bei NBC Giga arbeiteten, ihr Konzept ein. Der oftmals zu detailverliebte Nerdblick traf auf die erfahrenen, aber rundgelutschten Programmmacher mit ihren „1.000 ungeschriebenen Regeln“ (Simon).
Grundsatzdiskussionen, etwa über die Länge von In-Game-Sequenzen, waren anfangs an der Tagesordnung. „Zu nerdig, zu intellektuell, zu bescheuert, zu viel Comedy – irgendwas war immer“, sagt Budi. „Wie die MTV-Bildsprache funktioniert, wie man Zuschauer anspricht – so was musste sich halt erst einspielen“, erklärt MTV-Mann Christoph Michel. Mittlerweile sind beide Seiten zufrieden: „ ‚Game One‘ ist ein wichtiger Bestandteil unseres Portfolios und mehr als ein Prestigeobjekt: Die Ratings stimmen auch“, betont MTV-Brand-Manager Ralph Osteroth stolz. „MTV hat verstanden, dass es ‚zu nerdig‘ eigentlich nicht gibt“, sagt Budi.
Nach 133 Folgen hat „Game One“ so was wie Narrenfreiheit erreicht. Auch weil neben allem Quatsch die Informationen kompetent transportiert und Stärken wie Schwächen der getesteten Spiele klar benannt werden. Damit hebt sich „Game One“ vom Jubelperserjournalismus vieler Zeitschriften ab, die von den Anzeigenschaltungen der Gamesindustrie abhängig sind.
Im Verlauf des Tages wird übrigens noch ein Ei in der Mikrowelle explodieren, Budi und Simon werden sich als tibetanischer Mönch bzw. „Grafikhure“ verkleiden und Simons Katze einen Gastauftritt haben. Ein normaler Drehtag bei „Game One“.