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Archiv-Artikel

Liebe und Ausbeutung

„Bedeutende Beiträge“: Die Kandidaten des Deutsche Börse Photography Prize in Berlin

Überall Mauern. Bunt gekachelt, grau betoniert oder hoffnungsvoll mit grüner Farbe übertüncht. Gerne wird die Stadt Tanger, in der die Fotos von Yto Barrada entstanden sind, als „Tor zu Afrika“ bezeichnet. Auf dem umgekehrten Weg nach Europa sind die Grenzen aber so gut wie undurchlässig. Stattdessen befindet sich hier im Norden Marokkos, unweit der Meerenge von Gibraltar, eine Vielzahl an Gefängnissen mit Abschiebehäftlingen, die beim Versuch, nach Spanien zu gelangen, festgenommen wurden.

Barrada war schon 1998 mit der Kamera vor Ort. Damals hat die Fotografin, die 1971 in Marokko geboren wurde und später an der Sorbonne in Paris Politologie studierte, in der Freihandelszone von Tanger Aufnahmen gemacht. Zum Beispiel in einer Fabrik, in der Krabben von weiß gekittelten und mit Atemschutzmasken versehenen Frauen gepult werden. Der Ablauf ist reibungslos und clean, aber in seiner neonhellen Blaustichigkeit eher unappetitlich anzuschauen.

Selten braucht Barrada mehr als ein Foto, um zu zeigen, wie es am Katzentisch der Globalisierung aussieht. Bewusst setzt sie nicht auf Bildreportagen, sondern vertraut auf das einzelne Image und dessen Ikonografie: Mal kehrt ein Mädchen im Folklorekleid der Kamera ostentativ den Rücken zu, mal endet eine idyllische Wiese vor Wohnblocks, die sich über den oberen Bildrand hinaus auftürmen. Die Architektur gibt die Ordnung räumlich vor – öffentlich ebenso wie privat, Einschluss und Ausschluss inklusive.

Diese Präzision hat Barrada in die Auswahl für den Deutsche Börse Photography Prize gebracht, die nun in Berlin gezeigt wird. Es ist eine Übernahme aus London: Seit 1996 wird der Preis von der dortigen Photographer’s Gallery an einen Künstler vergeben, „der in den vorausgegangenen zwölf Monaten einen bedeutenden Beitrag im Bereich der Fotografie geleistet hat“.

Vor zwei Jahren wurde die Deutsche Börse Group zum Sponsor der Veranstaltung, deshalb tourt die Ausstellung neben Berlin ab September auch nach Frankfurt. Für den Preis gibt es keine Themenvorgabe, nur Empfehlungen von verschiedenen Institutionen, und am Ende entscheidet das Votum einer Jury, zu der dieses Jahr unter anderen der Fotokünstler Thomas Demand, Emma Dexter als Kuratorin der Tate Modern und Régis Durand als Direktor des Pariser Jeu de Paume gehörten. Die mit immerhin 30.000 Pfund dotierte Auszeichnung wurde an Robert Adams verliehen, einen Veteran der amerikanischen social photography, der das Geld postwendend der Organisation Human Rights Watch spendete.

Zu den vier nominierten Kandidaten zählt auch Alec Soth, der mit seiner „Sleeping by the Mississippi“-Serie in den vergangenen drei Jahren vom No-Name aus Minnesota zum Shootingstar wurde, dessen Arbeiten mittlerweile die New Yorker Gagosian Gallery ausstellt. Denn Soth beherrscht sein Metier: abgerockte Alltagsszenen und Porträts von unten, die er vor der Plattenkamera fast wie barocke Malerei komponiert.

Selten sah poor white trash so sehr nach Grand Old South aus. Darin ist Soth ein Nachfolger von William Eggleston, der mit seinen Fotos bereits in den Sechzigerjahren die aufreizend verschlafene Schönheit des Mittelwestens entdeckte und daraus ein fotografisches Americana-Epos machte. Der Zauber des Randständigen haftet auch vierzig Jahre später den Situationen an, die Soth festgehalten hat: Hustler und Pimps tragen ihr bisschen Gold noch immer sicher im Mund oder als Kettchen am Hals; die alternden Nutten haben sich in ihrem Plüsch eingerichtet; und die verwitterten Landarbeiter strahlen weiter vor Freude, sonntags auf dem Weg zur Kirche.

Solche Romantik, manchmal auch Verklärung im Zeichen des American Dream ist Robert Adams völlig fremd. Seit mehreren Jahrzehnten ist der 1937 geborene Fotograf in seinen Landschaftsaufnahmen dem Raubbau an der Natur auf der Spur. Bei ihm ist Amerika über weite Strecken verödet, sind die Wälder des Nordwestens bis nach Oregon abgeholzt oder vom sauren Regen und von Abgasen zerfressen worden. Auf seiner zwischen 1999 und 2003 entstandenen Schwarzweißserie „Turning Back“ zeigt Adams den Rest an Umwelt als Ruine – auch das ist eine Reise, die nun eben durch ziemlich triste Gegenden führt.

Dagegen setzt der Brite Phil Collins ganz auf Künstlichkeit – und auf ein anderes Medium als die Fotografie. Alles an seinem Video „Dünya Dinlemiyor“, das er vergangenes Jahr für die Istanbul-Biennale produziert hat, ist gestellt: Vor einer Fototapete singen türkische Jugendliche zu Playback-Musik ihre Lieblingslieder von The Smiths.

Collins zeigt dabei ein sicheres Gespür für die Fallhöhen des Pathos, wenn die jungen Leute mit weit aufgerissenen Augen ihre volle Leidenschaft in zwei, drei Songzeilen legen, in denen Morrissey von seiner Weltverlorenheit singt. Für Collins ist das Karaokespiel aber nur ein Mittel zum Zweck, wenn er im Film zeigt, wie sich beliebige Menschen vor der Kamera für einen kurzen Moment als Subjekte inszenieren. „Im Grunde geht es um Liebe. Und um Ausbeutung“, hat Collins erklärt, als er nach seiner Arbeit befragt wurde. Doch die Ironie ist schnell durchschaut, und überhaupt ist Doppeldeutigkeit in Sachen Selbstdarstellung für ein fotografisches Werk vielleicht etwas wenig, erst Recht neben den Dokumentaren von Adams oder Barrada. Noch hat Collins aber gute Chancen auf eine Pole Position, zumindest innerhalb der britischen Kunst: Er ist seit vergangene Woche für den Turner-Preis nominiert. Wieder mit dem gleichen Film.

HARALD FRICKE

Bis 16.7. C/O Berlin.