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Archiv-Artikel

DVDESK Was hier getanzt wird!

„St. Pauli zwischen Nacht und Morgen“ (José Bénazéraf; D 1967). Für circa 10 Euro im Handel erhältlich

Helmut Schmidt ist ein fescher Polizist aus Zürich. Auf der Spur des Rauschgifts kommt er nach Hamburg. Dort wird er in einer Gangsterbande undercover ermitteln. Er gerät ins Milieu, er verliebt sich in eine Stripteasetänzerin namens Arlette, die ein Drogenproblem hat und der ihrerseits bei seinem Anblick sehr romantisch zumute wird. So weit im Grunde der Plot, aber den kann man gut und gern vergessen. Von den Dialogen zu schweigen, die sehr direkt aus dem Trivialroman stammen und denen es an jeder Geschmeidigkeit fehlt. Reichtum geht da zum Beispiel so: „Deine Yacht wieder in Ordnung?“, fragt der eine Stripclubbesucher den anderen. Dafür sind die käuflichen Damen auf der Reeperbahn sehr gebildet: „Ein blondes Mädchen mit blauen Augen, das Proust und Sartre liebt – interessiert dich das?“ Andererseits geht am Hafen nach links ein älteres Paar aus dem Bild, fragt die Frau: „Und Vadder, was soll ich heute Abend für dich kochen?“

Nichts von dem beträchtlichen Charme, den „St. Pauli zwischen Nacht und Morgen“ besitzt, verdankt sich dem Buch; nichts einer irgend realistischen Zeichnung des Milieus; nichts den reichlich, aber dilettantisch eingesetzten Genremomenten aus (immer züchtigem) Sex und aus Crime; viel zwar den Darstellern, aber sicher nicht ihrem technischen Können: Dunja Raiter steht imponierend herum oder steigt voluptuös aus der Wanne, Eva Christian blickt als Arlette ein bisschen trüb, aber auch verführerisch aus der Wäsche. Helmut Förnbacher (Helmut Schmidt) macht immerhin bei Spaziergang und Liebe eine gute Figur und schießt wie der Teufel. Rolf Eden, der auch mitspielt, habe ich erst gar nicht erkannt.

Nein, alle Ehre, aus diesem drögen Drogenstoff etwas ganz anderes als einen leicht anfrivolisierten Schmuddelfilm gemacht zu haben, gebührt José Bénazéraf, dem Regisseur, der den Ehrennamen „Godard des Pornos“ trug, den „Goldenen Penis“ fürs einschlägige Lebenswerk bekam und im letzten Jahr starb.

Schon der Beginn: eine lange Fahrt in einem Polizeiwagen durch Hamburg, vom Rücksitz gedreht, draußen die Lichter und Figuren der Stadt, dazu nicken die uniformbemützten Köpfe im Rhythmus der Straßenunebenheiten. Und dann erst die Liebe: Von wunderbarer Endlosigkeit die Sequenz, in der Helmut Schmidt und Arlette in der Dämmerung Arm in Arm an der Alster spazieren, es wird dunkel und dunkler, es bleiben nur Schemen, graues Liebespaar in grauer Stunde, und doch filmt Bénazéraf immer weiter.

Er kann aber auch tolle Montagen: Wenn es von Tanzmusik zu Gewehrschüssen geht, wie nennt man das, Knallblende vielleicht? Und eine wunderbare Sache sind rauchende Küsse, Zigarettenatem von Mund zu Mund. Oder in Großaufnahmen Gesichter, aus deren Mündern der Zigarettenqualm dringt, verzauberter Expressionismus oder poetischer Realismus oder wie immer man das nennen will mitten in Hamburg. Überhaupt, was hier geraucht wird. Und getanzt. Mehr als entzückend drei Frauen, die alle Viertelstunde, man kann die Uhr danach stellen, zu tanzen beginnen, in Tanz ausbrechen, vom Tanz überwältigt werden, sich aus dem Rumstehenden ins Bewegte erlösen, einmal auch ihre langstieligen Zigaretten einfach zur Seite werfen, um eben wieder zu tanzen.

Hamburg dämmert, wie es so nicht wieder gedämmert hat. Musste aber schon ein Bénazéraf aus Frankreich kommen, um ein grenzdebiles Drehbuch durch seine Inszenierung so richtig schön durchzupoetisieren. Es blieb leider sein einziger deutscher Film. Dass es den jetzt aber auf DVD gibt, sollte man wissen.

EKKEHARD KNÖRER