Frankreichs Jasager in der Defensive

Ein Jahr nach dem Referendum über die EU-Verfassung halten die Befürworter an ihrer politischen Linie fest. Von Ideen für eine andere Europapolitik kann keine Rede sein. Die Hoffnung auf eine gestärkte Linke hat sich nicht erfüllt

PARIS taz ■ Die „Apokalypse“ ist nicht eingetreten. Der „Atomschock“ auch nicht. Aber die unterlegenen „Ouiistes“, die JasagerInnen, die die Katastrophen für den Fall der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich angekündigt hatten, haben sich anders gerächt: Sie schweigen und sie sitzen aus.

Ein Jahr, nachdem 55 Prozent der WählerInnen im Referendum „non“ gesagt haben, vermeiden sie sorgfältig die inhaltliche Debatte. Weder Staatspräsident Jacques Chirac, noch der rechte Regierungschef Dominique de Villepin, noch die größte Oppositionspartei PS haben den Willen ihrer Landsleute in Vorschläge für eine andere Europapolitik umgesetzt. Statt dessen haben sie, die „Nonistes“ als „fremdenfeindlich“, „rückwärtsgewandt“ und „nationalistisch“ diffamiert und ihre Stimmabgabe als „Irrtum“ beschimpft.

Am ersten Jahrestag zeigt sich, dass die Kampagne nach dem Referendum genauso erfolglos an den FranzösInnen abprallte, wie jene zuvor: Würde heute in Frankreich über die EU-Verfassung abgestimmt, fiele die Ablehnung noch deutlicher aus als am 29. Mai 2005. Nach einer Umfrage der Zeitung Libération bereut nur 1 Prozent der „Nonistes“ ihre Entscheidung. Hingegen würden 10 Prozent der „Ouiistes“ heute gegen die Verfassung stimmen.

Im vergangenen Jahr haben sich die FranzösInnen in einer landesweiten Debatte mit dem Verfassungstext befasst, der allen WählerInnen zugestellt worden war. Auf tausenden von Veranstaltungen diskutierten sie seine wirtschaftsliberale Orientierung, stellten fest, dass er den „ungehinderten Wettbewerb“ zum Dogma macht, aber keine „soziale und steuerliche Harmonisierung“ vorsieht. Dass er die militärische Aufrüstung vorschreibt. Dass er die Auflösung der öffentlichen Dienste festlegt. Und dass er die Souveränität der Mitgliedsländer einschränkt.

Es war die größte EU-Debatte, die seit Gründung der Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahr 1957 je in einem Mitgliedsland stattgefunden hat. Die Medien diagnostizierten Angst vor „polnischen Klempnern“. Tatsächlich beherrschten nicht rechtsextreme NationalistInnen, sondern mehrheitlich EU-freundlich gesonnene Linke das politische Terrain. Ihr Hauptargument: Die EU soll eine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik auf höchstem Niveau betreiben und das Steuerdumping stoppen.

Einmütig traten bei den Veranstaltungen der „Nonistes“ TrotzkistInnen mit KommunistInnen und linken PS-Mitgliedern auf. Das „Non“ vom 29. Mai war vor allem ihr Sieg. Als kurz danach auch die NiederländerInnen gegen die EU-Verfassung stimmten, war das ursprüngliche Projekt tot. Dieses sah vor, die Verfassung einstimmig anzunehmen. Dennoch läuft der Ratifizierungsprozess weiter. Die Arbeit an einer Alternative zur abgelehnten Verfassung hat offiziell noch nicht begonnen.

Seit dem Referendum ist die „Bolkestein-Richtlinie“ über die Dienstleistungen leicht abgeschwächt worden. Und die Beschäftigungs- und Sozialpolitik steht bei EU-Treffen auf beinahe jeder Tagesordnung. Aber eine grundsätzliche Kehrtwende in der EU hat es genauso wenig gegeben wie einen Nachahmungseffekt der anderen Ländern.

Auch in Frankreich hat sich nur wenig getan. Chirac hat ein paar Regierungsmitglieder ausgetauscht, aber nicht die politische Linie. Der soziale Bruch in der Gesellschaft hat sich unter anderem mit mehr als 10.000 verbrannten Autos im Herbst und einer erfolgreichen sozialen Bewegung gegen die Aushöhlung des Kündigungsschutzes in diesem Frühling manifestiert.

Doch die Zusammenarbeit der Linken ist wieder zusammengesackt. Vor einem Jahr war KP-Chefin Marie-George Buffet noch sicher: „Das Non wird die Linke bei den nächsten Wahlen stärken.“ Heute ist sie eine von vier potenziellen PräsidentschaftskandidatInnen aus dem Lager der „Nonistes“. KeineR scheint bereit, zugunsten einer gemeinsamen Kandidatur zu verzichten. Den „Nonistes“ stehen bei der PS und bei der UMP KandidatInnen gegenüber, die rechts wie links eine große Gemeinsamkeit haben: Sie sind für die abgelehnte EU-Verfassung.

Bei den heutigen Geburtstagsfeten für das „Non“ darf ein Mann nicht ganz vergessen werden: Jacques Chirac. Der Präsident hat zwar einen anderen Ausgang des Referendums gewollt. Aber indem er sein Volk nach dessen Meinung gefragt hat, bewies er einen Mut, den die meisten anderen SpitzenpolitikerInnen in Europa – nicht haben. DOROTHEA HAHN