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Archiv-Artikel

Fans lassen Rechte ins Abseits laufen

VON HENK RAIJER

Das Stillleben am Fenster zeigt schon die Leidenschaft. Für Bodo Berg und sein Team sind die Plastik und die Schuhe aus den Anfängen des Fußballs in ihrem Gelsenkirchener Büro Mahnung und Aufforderung zugleich. „Du kannst diese Arbeit nicht machen, wenn du nicht ganz und gar fußballverrückt bist“, erklärt der 52-Jährige sein Engagement bei „Dem Ball is‘ egal wer ihn tritt“. Und er meint das ernst.

Bodo Berg ist seit 37 Jahren Mitglied der „Familie Schalke 04“, bei jedem Heimspiel dabei und hat seit 14 Jahren eine Mission: den Kampf gegen Rassismus im Umfeld des Fußballs. Er sei kein Sozialarbeiter, sagt Berg. Er sei in erster Linie Fan. Und: „Wir Fans sind Teil des Fußballs. Wer sich mit uns anlegt, legt sich mit dem Fußball an.“ Das ist für Berg Mandat genug. Nur wer den Fußball liebe, sagt der groß gewachsene Mann, der mal Möbelrestaurator gelernt hat und 17 Jahre lang selbstständig war, könne glaubwürdig über rassistische Tendenzen an und in Deutschlands Fußballarenen aufklären, ohne Jugendliche zu bevormunden.

Schmährufe wie „Husch, husch, husch, Neger in den Busch“, fliegende Bananen im Stadionrund sowie brennende Asylbewerberheime haben den eingefleischten Schalke-Fan 1992 dazu gebracht, mit antirassistischen Pamphleten an die Öffentlichkeit zu gehen. Und auch in den Jahren danach immer wieder auf zunehmende Rechtstendenzen in der Jugendkultur hinzuweisen. Hervorgegangen aus der Schalker Fan-Initiative machen Berg und seine Mitstreiter vom Verein „Dem Ball is‘ egal“ nun schon seit sechs Jahren Vereins übergreifend antirassistische Bildungsarbeit in Schulen, Vereinen und Fußballstadien. Hauptsponsor des Projekts mit Sitz im Gelsenkirchener Stadtteil Buer ist neben fünf weiteren Bundesligavereinen in NRW der FC Schalke 04.

„Auf den Sack gehen“

Mit Blick auf die Aktivitäten zur Fußballweltmeisterschaft ab 9. Juni sind auch DFB, UEFA und FIFA Partner des Vereins. Im Auftrag von FARE (Football Against Racism in Europe) wird Bergs Projekt, das drei feste Mitarbeiter zählt und zu den sieben Kernsäulen dieses gesamteuropäischen Netzwerks gegen Rassismus zählt, mobile Ausstellungen, Videopräsentationen und Streetkick-Turniere am Rande des vierwöchigen Gipfels veranstalten. Sein Motto: „Fußball verbindet“.

Doch trotz aller Vorschusslorbeeren aus den Vorstandsetagen der Vereine, aus Parteizentralen und Ministerien – Bodo Bergs Budget ist und bleibt knapp. Großsponsoren für die „Fan-Offensive 2006“, mit der das Projekt in allen WM-Städten an den Start gehen wird, sind nicht in Sicht. Von jeher sind ehrenamtliches Engagement, Improvisation und Beharrlichkeit die Säulen des Vereins, der nicht nur im WM-Jahr um spärlicher werdende Mittel kämpfen muss. Er beherrsche inzwischen die deutsche „Antragslyrik“ ganz gut, so Projektleiter Berg. Sie sei ihm in Fleisch und Blut übergegangen.

„Auf den Sack gehen“ heißt Bodo Bergs Rezept. Aber was bei Vereinsbossen wie dem langjährigen Schalke-Manager Rudi Assauer nach langem Drängen verfängt, überzeugt potenzielle Geldgeber bei einem internationalen Event noch lange nicht. 86 FIFA-Sponsoren hatte „Dem Ball is‘ egal“ im Vorfeld der WM um finanzielle Unterstützung angeschrieben. Exakt 86 zeigten dem antirassistischen Bildungsprojekt aus Gelsenkirchen die kalte Schulter. Erst eine Finanzspritze aus Düsseldorf hat den Verein für seine geplanten WM-Auftritte fit gemacht und eine Neuauflage der 2003 erstmalig aufgelegten CD-ROM zum Thema Rassismus und Fußball ermöglicht. „Antirassismusarbeit trifft nicht auf offene Ohren in Zeiten des Big Business“, weiß Bodo Berg. „Der Gute-Laune-Bär hängt bei der WM nunmal woanders.“

Nein, Schadenfreude empfinde er nicht angesichts der aktuell aufgeflammten Debatte über „No-Go-Areas“, in denen vor allem Menschen mit dunkler Hautfarbe Übergriffe von Rechtsextremisten fürchten müssen. Im Gegenteil: Der Ruf nach immer mehr Polizei auf den Straßen während der Weltmeisterschaft sporne ihn eher an, einem wie Bayerns CSU-Innenminister Günther Beckstein zu zeigen, dass nicht Repression, sondern Prävention langfristig Erfolg versprechender ist. Präventionsarbeit Marke „Dem Ball is‘ egal“, meint Berg da zweifellos. Seine Devise: Nur durch kontinuierliche Aufklärungsarbeit in Schulen und Sportvereinen ändere man das Bewusstsein.

Rote Karte für Rassisten

Bei der Bekämpfung rassistisch motivierter Schmähungen hätten, meint Berg, insbesondere auch die Vereine eine soziale Verantwortung – schon allein gegenüber der eigenen Anhängerschaft. „Die Klubs bräuchten sich im Grunde nur den Zehn-Punkte-Plan der UEFA zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz im Fußball zu Herzen zu nehmen, der von FARE erarbeitet worden ist“, so Berg. Doch bleibe es hier meist bei Lippenbekenntnissen. Leider blieben Beleidigungen wie „Zick Zack, Zigeunerpack“, der ostentativ präsentierte Hitlergruß oder das U-Bahn-Lied, in dem gesungen wird, dass man eine U-Bahn von der Stadt des Gegners „bis nach Auschwitz“ bauen werde, in der Regel ohne Reaktion der Vereinsführungen. Positiv überrascht habe da in der letzten Saison der 1 FC Köln, dessen Stadionsprecher beim Spiel gegen den MSV Duisburg bei „Zick-Zack-Zigeunerpack“-Rufen kurzerhand den Kampagnenspruch „Zeig‘ dem Rassismus die rote Karte“ von „Dem Ball is‘ egal“ auf die Leinwand zauberte.

So wenig wie rassistische Äußerungen in Stadien von der herrschenden Meinung im Lande zu trennen sind, so wenig sei das Beleidigen und Bedrohen von Spielern dunkler Hautfarbe in und vor dem Stadion ein Privileg dumpfbackiger, nationalchauvinistischer Glatzen, ist Berg überzeugt. Nicht nur sei der Dresscode rechts gerichteter Jugendlicher heute, wo Symbole wie Hakenkreuze oder Reichskriegsflaggen unter Strafandrohung aus den Stadien verbannt sind, verfeinert worden – zum Beispiel durch T-Shirts mit der Zahl 88 (zwei Mal der achte Buchstabe des Alphabets für „Heil Hitler“). Genauso habe latente Ausländerfeindlichkeit nicht nur die Stadionkurve, sondern auch die VIP-Loge erfasst. Und genau das will „Dem Ball is‘ egal“ anlässlich der WM zum Thema machen.

Auf der neuen CD-Rom zeigen prominente Bundesligaspieler wie Christoph Metzelder, Otto Addo oder Gerald Asamoah Rassisten symbolisch die rote Karte. Auch wird in Videosequenzen veranschaulicht, dass die Auswüchse nicht auf Deutschland beschränkt sind. „In Italien, Holland und Spanien, aber vor allem in Russland, Polen und Rumänien ist der Rassismus im Fußball eine Geißel“, sagt Berg. Eine für seine Verhältnisse kühle Analyse. Aber der Fan in ihm kocht: „Wir lassen uns das Spiel nicht von braunen Demagogen und Schlägern kaputt machen“, empört sich Bodo Berg. Der Fußballverrückte träumt davon, dass auch die aktuellen Schalke-Spieler, die allesamt „ihr Herz an der Kasse abgegeben haben“, ihre Leidenschaft wiederentdecken.

Infos zu Programm und CD-ROM:www.demballegal.de