: Eine Idee Zukunft, bitte
„100 Köpfe von morgen – die Zukunft im Land der Ideen“ präsentiert eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum zu Berlin. Zur Eröffnung waren die Köpfe sogar leibhaftig zu bestaunen
VON MARTIN REICHERT
„Die Idee ist das Absolute, und alles Wirkliche ist nur Realisierung der Idee“, sagte schon Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Der deutsche Idealismus, im Jahr 2006 wird er zum Standortvorteil, zumindest wenn man der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ Glauben schenkt, einer Standortinitiative der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft, genauer: des BDI.
Das Bild eines „innovativen, weltoffenen und begeisterungsfähigen Landes“ soll vermittelt werden, die Ausstellung „100 Köpfe von morgen – die Zukunft im Land der Ideen“ vermittelt rein optisch zunächst das Bild einer H-&-M-Reklame. Menschen unter 40, übrigens nur 36 Frauen und stattliche 64 Männer mit einem Durchschnittsalter von 32 Jahren, wurden im Ganzkörperformat fotografiert und auf Stahlträger gezogen. Diese sind nun im Innenhof des Deutschen Historischen Museums unter den Linden zu betrachten, ein von der ausführenden Agentur Scholz & Friends gepflanzter Stelenwald bestehend aus jungen Literaten, Molekularbiologen, Sprachwissenschaftlerinnen und Designern, eingerahmt von demnächst nicht mehr so schwer lastender deutscher Geschichte, die neue Dauerausstellung ist schon fertig und harrt ihrer Eröffnung.
Das Durchschnittsalter der 100 Köpfe wurde „mit dem Computer berechnet“, wie der Juryvorsitzende Peter Raue – Vorsitzender auch des Vereins der Freunde der Nationalgalerie und deutlich über 40 – stolz verkündet, „und „sprechen sollen heute Abend die Literaten, nicht jedoch die Models“. Man hat sich plötzlich daran erinnert, dass Albert Einstein, Franz Beckenbauer und Michael Schumacher irgendwann mal Nachfolger brauchen, Deutschlands Zukunft wuppen, wer übernimmt diese lästige Aufgabe?
Das machen die Praktikanten, also diejenigen, die für ihre Ideen kein Geld bekommen, sondern ein vages Zukunftsversprechen und demnächst wahrscheinlich auch kein Urlaubsgeld mehr von der VG Wort: Geht es nach den Interessen der ideengierigen Industrie, wird im Sommer das Verwertungsurhebergesetz geändert. Die so genannten Kopierabgaben sollen eingeschränkt werden, im Klartext heißt das: Die Industrie soll entlastet werden, womöglich pfiffige Schreiberlinge gucken in die Röhre, keine Pfifferlinge auf der Pasta, weil die Ideen nichts wert sind.
Den Rap-Poeten Bas Böttcher wird das vielleicht nicht kratzen, er hat es schließlich auf eine Stele geschafft, im Ganzkörperformat. So wie Florian Silbereisen (abwesend), Julia Jentsch (abwesend) und Tobi Schlegl (anwesend), der aufgrund seiner „nachhaltigen Karriere“ in den Stelenwald berufen wurde. 2004 hatte Gerhard Schröder die Idee, Schlegl in den „Rat für Nachhaltigkeit“ zu berufen – es hat also etwas gebracht.
Bas Böttcher sagt: „Bevor die Ideen geboren werden, müssen erst mal die Menschen geboren werden“, und erklärt anschließend reimend, wie man das macht. Nur ganze drei gezählte Kleinkinder in schicken Bugabu-Kinderwagen im Innenhof des DHM – nur kurz nach einer Idee gesucht, wie man den Akademikerinnen-Gebärstreik durchbrechen könnte, und schon hat man Böttchers Erklärung verpasst. Betretener Blick nach unten auf die Schuhe, die aussehen, „als sei man gerade in „warme, weiche Hundescheiße“ getreten, laut FAS Erkennungszeichen der Berliner Kreativen. Die Schuhe der anderen sehen auch nicht viel besser aus, fast ein Drittel der 100 Köpfe leben nämlich tatsächlich in der Hauptstadt. Dann erst kommen die besser beschuhten Münchner und Hamburger.
Bei trendigem deutschen Riesling und nicht mehr so angesagten Zigaretten im Gespräch mit Deutschlands Zukunft: „Haben Sie eigentlich auch Ideen?“ „Nein ich bin bloß die Begleitung“, sagt die nette Dame. Aber seltsam findet sie es schon, den Lebenspartner als Pappkameraden aus Stahl vor sich zu sehen, „irritierend auch, weil die Figuren keine Originalgröße haben, das wirkt so gepresst“. Warum macht man diese Leute eigentlich kleiner, als sie sind?
Am Nebentisch stehen die Leute von gestern, raunend: „Ach, wenn wir es wenigstens bis ins Viertelfinale schaffen, können wir schon froh sein. Ansonsten Gnade uns Gott.“
Ein letzter Gang durch die Ausstellung, die einen leichten Schwindel verursacht, weil man nicht weiß, wer hier Original und wer längst Kunst ist bzw. die Zukunft des Landes. Aber sonst: Das sind alles doch ganz nette Leute, entspannt irgendwie, nicht verbissen. Sie wirken so, als ob sie sich in ihrem Leben recht wohl fühlen – angstfrei, ganz egal ob sie auf einer Stele sind oder nicht. Es wird schon klappen, man nimmt die Dinge nicht so ernst, genauso wenig, wie die Kleiderordnung.
Draußen, vor der Tür des Deutschen Historischen Museums, Unter den Linden, wird an diesem Abend weiter an den Kulissen geschraubt. Es glänzt die Bertelsmann-Repräsentanz wie eine fette Buttercremetorte, während im Hintergrund der Palast der Republik abgetragen wird. Der geordnete Rückbau einer Idee.