: Am stillen Hafen für Wasserratten
taz-Serie „Hafenstadt Berlin“ (Teil 3): Der Tegeler Hafen hinter der „Sechserbrücke“ und entlang der Greenwichpromenade ist ein Ort für Ausflugsschipper. Am Wochenende erwacht er. Sonst liegt er im Dornröschenschlaf. Das soll sich jedoch ändern
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Unter den Berliner Häfen spielt der Tegeler Hafen ungefähr in der gleichen Liga wie der Humboldthafen oder der Urbanhafen in Kreuzberg – nämlich in der Hafenamateurliga. Der Güterumschlag ist gleich null. Es existieren keine Docks oder Speicher. Eine einzige kleine Landungsbrücke für ein Personenschiffchen der „Stern und Kreis“ wackelt vor sich hin. Das war’s.
Und dennoch brummt es entlang der alten Tegeler Hafenanlage und an der Greenwichpromenade – allerdings nur an sonnigen Wochenenden. Wenn die Berliner Sommerfrischler die Straße Alt-Tegel zum Seeufer hinunterströmen, vorbei an den Straßencafés und Biergärten, glaubt man sich in einem Ausflugshafen am Bodensee oder noch südlicher. Der Tegeler Hafen und seine Umgebung verwandeln sich dann zu dem, was Reinickendorf-Tegels Bürgermeisterin Marlies Wanjura „das besondere Lebensgefühl und die Vorzüge einer grünen Großstadt“ nennt, zum Erholungsbereich des nördlichen Berlin.
In der Tat leben der alte Tegeler Hafen – ein 550 Meter langer und 38 Meter breiter Einschnitt an der Mündung des Tegeler Fließes in den Tegeler See – und seine heutige topografische sowie strukturelle Transformation entlang der Greenwichpromenade von nichts weniger als diesem Image – aber auch von nichts mehr. Über ein Dutzend Fahrgast- und Ausflugsschiffe liegen entlang der Greenwichpromenade. Die „Hanseatic“, die „Deutschland“ oder die „Berlin“ schippern in der Saison mit ihrem zweibeinigen Gepäck den Tegeler See und die Havel hinunter.
Zum letzten Mal wirklich von sich reden gemacht hat die Örtlichkeit, als im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Berlin (IBA) 1984 bis 1988 rund 350 Wohnungen entlang des östlichen Hafenbeckens entstanden. Gut 20 Jahre nach der IBA-Zeit rüstet sich der Bezirk erneut, den Hafen, die Tourismusindustrie und den Immobilienstandort zu steigern. Monika Lenk von der Wirtschaftsförderung Reinickendorf glaubt, dass der Bezirk „mit dem Wirtschaftsfaktor Wassertourismus noch mehr punkten kann“. Der Tegeler Hafen biete für Erholungssuchende und die Flusskreuzfahrt-Schifffahrt weitere Kapazitäten.
Lenk meint damit, dass der Tegeler Hafen – wie schon in Potsdam geschehen – Raum für den „ersten Berliner Flusskreuzfahrt-Anleger“ böte. 100 Meter und mehr lange Schiffe könnten dann dort andocken, betankt, beladen und geentert werden. Für die mehr als 100.000 Ausflügler pro Jahr sowie für die Reedereien bedeutete dies, dass Tegel prominenter und ökonomisch „wichtiger Wassertourismus-Standort“ bleibe und das Rennen bestehe gegen die Konkurrenz aus Wannsee und Potsdam.
Lenk hat dafür ein Gutachten bis zum Herbst 2006 in Auftrag gegeben, das die Wirtschaftlichkeit, den Standort und die Kosten ermitteln soll. Bringt es ein positives Ergebnis, sollten Investoren gesucht und gefunden werden.
Ob die Geschäfte dann noch einmal so gut laufen wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bleibt zu bezweifeln. Damals hatten sich Industrien, etwa die Borsig-Werke, wegen der günstigen Havelanbindung rund um das Dorf Tegel angesiedelt. Um den Warenumschlag der über die Havel kommenden Schiffsgüter zu erleichtern, beschlossen die Tegeler Gemeindevorsteher, die Fließmündung zu vergrößern und den Hafen zu bauen. Die Einweihung beider Anlagen fand am 31. Oktober 1908 statt.
Jener geschäftstüchtige Fischer Siebert, der wanderunlustige Berliner mit seinem Kahn für fünf Pfennig – den „Sechser“ – erst mit dem Boot über das Mündungsbecken gesetzt und später das gleiche Entgelt für die Nutzung einer kleinen Holzbrücke genommen hatte, wurde mit dem Bau der bis heute bestehenden 91 Meter langen eisernen Bogenbrücke an der Hafeneinfahrt „ausgebootet“. Den Namen „Sechserbrücke“ behielt die neue Brücke bis heute. Mussten doch die Berliner zur Finanzierung des eisernen Stegs ebenfalls ein Fünf-Pfennig-Stück löhnen, allerdings nicht mehr an Fischer Siebert, sondern die Tegeler Finanzkasse.
Seit das Nachwende-Berlin mit luxuriösen Wohnstandorten am Wasser bei Investoren hausieren geht und dies an der Rummelsburger Bucht und in Spandau gelungen ist, denkt man auch in Tegel daran, das „Wohnen am Wasser“ wiederzubeleben. Vor zwei Jahren wurde mit einem „Floating-House“ ein Testballon losgelassen. In dem doppelstöckigen Holzhaus auf einem Ponton war ein Tourismusbüro untergebracht worden. Nach der einjährigen Nutzung lief der Vertrag aus, das Floating-House versank gewissermaßen.
Monika Lenk glaubt nicht, dass die schwimmenden Wohnhäuser in Berlin einen ähnlichen Erfolg erlangen könnten wie die Hausboote in Amsterdam. Dennoch will der Bezirk die Idee des Wohnens am Wasser nicht in der Schublade verschwinden lassen. Bebaut werden soll das westliche Hafenufer, die „NEB-Insel“, ein privates Eiland. Dort sollen – nach einem Verkauf der Grundstücke an Bauträger – so genannte Kapitänshäuser entstehen. Man bleibt seinem Wasser-Image in Reinickendorf-Tegel also treu.