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Archiv-Artikel

Rechte und Linke flirten mit den Grünen

Der Parlamentsneuling wird durch die Pattsituation nach den tschechischen Wahlen zum Königsmacher

PRAG taz ■ „Staatstragend“, lautet das Wort, das der Vorsitzende der tschechischen Grünen, Martin Bursík, neuerdings sehr gerne benutzt. Das Mandat des Wählers wahrzunehmen sei „staatstragend“, erklärte Bursík nach Bekanntwerden der verzwickten Pattsituation, die die tschechischen Parlamentswahlen am Wochenende ergeben haben.

Bursík, Chef der Grünen seit September 2005, hat gut reden. Nicht nur, dass die Wahlen seine Partei mit einem Stimmenanteil von 6 Prozent ins Abgeordnetenhaus katapultiert haben. Gleich wurde der Neuling dort in eine staatstragende Rolle gedrängt: Heiß umschwärmt sind die Grünen, von rechter wie von linker Seite und eher Königsmacher als Zünglein an der Waage.

Der Wahlsieger, die konservative Bürgerpartei ODS, braucht die 6 Sitze der Grünen genauso wie die 13 Stimmen der Christdemokraten, um mit zumindest 100 der 200 Parlamentsmandate im Abgeordnetenhaus vielleicht eine Koalitionsregierung bilden zu können. Andererseits würde den sozialdemokratischen Rivalen ein grüner Abweichler reichen, um eine Regierung zu bilden, die zwar Minderheit wäre, akzeptiert von den Kommunisten aber über 101 Mandate verfügen würde.

Vorsichtshalber stellen sich die grünen Parlamentarier der Sozialdemokratie gegenüber taub. „Aus Sicherheitsgründen haben wir beschlossen, ihre Anrufe nicht anzunehmen.“ Die eigene Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Jede Art von Zusammenarbeit mit den Kommunisten haben die Grünen von vornherein ausgeschlossen.

Noch werden die Grünen als unbekannte Größe gehandelt. „Eine Partei voller Persönlichkeiten, deren Disziplin schwer einzuschätzen ist“, urteilt die Politologin Vladimíra Dvořáková von der Prager Ökonomischen Hochschule. An Schwergewichten aus der tschechischen Politik und Gesellschaft mangelt es den Grünen nicht. Dissidenten wie der Linksaußen der Charta 77, Petr Uhl, oder der Liedermacher Jaroslav Hutka landeten bei ihnen gleich auf der Kandidatenliste. Expräsident und Weltgewissen Václav Havel hat den Grünen prominente Wahlhilfe geleistet, indem er sich noch vor dem Urnengang als ihr Wähler outete.

Außerdem stellen die Grünen das dar, was die tschechische Politszene und Havel insbesondere lange Jahre so schmerzlich vermisst haben: einen frischen Wind, neue Gesichter, eine Politik, unverdorben durch Klientilismus und Korruption. Genau hierin gründet der Erfolg einer grünen Partei in einem Land, dem Ökologie lange als Schimpfwort galt. Die absolute Mehrheit der Tschechen ist gegen den Atomausstieg und für die Erweiterung bestehender AKWs. Die wenigsten wollen die Einführung einer Ökosteuer. Die Grünen wurden nicht wegen ihrer Themen gewählt. Sie sprechen jedoch diejenigen an, die zwar das Schicksal Tschechiens mitbestimmen wollen, sich aber nicht mit den etablierten Parteien identifizieren können oder wollen. In diesem Sinne ist die Rolle der Grünen mehr als nur „staatstragend“. Für viele sind sie ein Hoffnungsträger, dass Politik auch für den Menschen da sein kann. ULRIKE BRAUN