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Archiv-Artikel

Totgesagte musizieren länger

Die Berliner Symphoniker feiern mit einer Jubiläumssaison 2006/2007 ihr 40-jähriges Bestehen. Noch im vergangenen Jahr mussten sie wegen Streichung öffentlicher Mittel Insolvenz anmelden. Ob der Neustart klappt, hängt am seidenen Faden

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Der Rahmen war so gewählt, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Jochen Thärichen, der Intendant der Berliner Symphoniker, und Alfred Christmann, Vorsitzender des Trägervereins Berolina-Orchester e. V., hatten sich das Foyer des Kammermusiksaals der Philharmonie ausgesucht, um die Konzertsaison 2006/2007 vorzustellen. Mit dabei saßen Lior Shambadal, Chefdirigent der Symphoniker, sowie Freunde und Förderer des Orchesters. Etwas Großes lag also gestern in der Luft: Musik und Zukunft. 2006, sagte Thärichen, „wird kein normales“ Jahr für die Symphoniker sein, sondern eine „Jubiläumssaison“. Der Klangkörper feiert sein 40-jähriges Bestehen.

Nicht anwesend wie sonst bei Verkündigungen solcherlei kultureller Highlights in der Stadt waren Vertreter des Landes Berlin. Jeder weiß, warum sie fehlten. 2004 hatte der rot-rote Senat – ungeachtet der öffentlichen Einwände – dem Orchester den Zuschuss in Höhe von 3 Millionen Euro gestrichen und mit dem Aus aller institutionellen Mittel die Symphoniker „platt gemacht“, wie Christmann sagte. 2005 musste der Trägerverein Insolvenz anmelden. Zuvor geforderte Finanzspritzen der Kulturverwaltung blieben aus, die rund 60 Musiker samt ihrem Intendanten und Orchestermitarbeitern standen auf der Straße.

Es gibt die Berliner Symphoniker noch immer, oder besser gesagt, es gibt sie wieder. Nach der Insolvenz haben Thärichen und die Symphonie-Mitglieder sich neu unter dem Dach der Berolina-Orchester e. V. konstituiert. Der Verein war 1993 gegründet worden, um arbeitslosen Musikern des östlichen Rundfunk-Orchesters Berlin zu helfen. Seit 2005 engagiert sich die Berolina-Orchester nun als Träger der kulturpolitisch abgewickelten Symphoniker. „Totgesagte leben eben länger“, nennt das Thärichen kämpferisch, fügt aber auch hinzu: „Dass wir heute wieder hier sitzen, ist nicht selbstverständlich. Manchmal glauben wir das selbst noch nicht.“

Fakt ist: Über 50 große und kleinere Konzerte in Berlin und im Ausland, darunter in Spanien, Italien und Japan, sind in der Jubiläumssaison geplant. Die Musiker treten in der Philharmonie, dem Schauspielhaus, in Chorin und in der Kulturbrauerei auf. Internationale Solisten wurden engagiert. Man gibt Klassiker wie Mozart, Mendelssohn Bartholdy und Schumann, aber auch Moderne wie Elgar und Grieg. Zugleich sollen Uraufführungen ins Programm gehoben werden.

Dennoch. Es wird, wie gesagt, kein normales Jahr für das Orchester sein. Vielmehr hängt die wirtschaftliche und künstlerische Existenz des ohne öffentliche Mittel spielenden Klangkörpers weiter am seidenen Faden. Gesichert sei das Engagement bis Dezember dieses Jahres, so der Intendant. Das Management werde im Wesentlichen auf der Grundlage von ehrenamtlicher Tätigkeit erledigt. Einnahmen brächten allein die Konzerte und Gelder durch Tonträger-Einspielungen. Für die anstehenden Konzerte in Berlin hätte es Chefdirigent Shambadal geschafft, viele Künstler ohne Gage zu gewinnen. Hinzu komme, dass dem Orchester durch den Verein „Partner für die Berliner Symphoniker e. V.“ unter die Arme gegriffen werde. Und schließlich sei der Zuspruch der Konzertbesucher ungebrochen.

Aber auch Thärichen und Berolina-Vorstand Christmann wissen, dass es ein privatwirtschaftliches Orchester gänzlich ohne öffentliches Geld nicht gibt. Es müsse sich in dieser Saison zeigen, so Christmann, „ob es gelingen wird, dem Orchester seinen angestammten Platz in der ersten Reihe der Berliner Orchester wieder zu sichern“. Darum sendet Christmann ein klares Signal an alle Parteien aus, nach der Wahl im Herbst 2006 wieder Gelder fließen zu lassen. In Gesprächen mit vielen Politikern sei eine „Revision“ erkennbar, die Symphoniker wieder ins Förderboot zu holen. Gerade das musikpädagogische Engagement des Orchesters an Schulen müsse wieder unterstützt werden. Wegen der Probleme dort wäre dies eine Hilfe für Schüler und Lehrer.

Vielleicht ist nur vor dem Hintergrund der Wahl und möglicher Perspektiven zu erklären, warum der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in einem dünnen Grußwort in der Jubiläumsbroschüre den „Erfolg“ der Symphoniker rühmen darf. Angesichts der Orchester-Streichung des rot-roten Senats sollte er dazu sonst lieber schweigen.