Meine WM
: Kahn, der Arbeiterheld

Was Männerseelen bewegt: Redakteure der taz nrw plaudern prägende WM-Erlebnisse aus
WM 2002 und der „pobre portero“: Wie mir der „arme Torwart“ die Sympathie kubanischer Grenzer eintrug

■ Gefühlte 15 Grad beträgt der Temperaturunterschied zwischen Klimaanlage und Karibikluft. Ich checke noch einmal den Umschlag in meiner Hand. Der Reisepass? Ein Vorläufiger nur, aber dabei. Das Visum? 50 Euro teuer, aber vorhanden. Nur die Bestätigung für eine Hotelreservierung in Havanna fehlt. Weil es keine Hotelreservierung gibt. Zu teuer, außerdem uncool.

Das Terminal des Flughafens José Martí ist eine aufgehübschte Lagerhalle. Es gibt zehn Schalter, vielleicht zwölf. Je ein Mann sitzt hinter einer Glasscheibe, und einer steht daneben, bewaffnet. Jetzt bekomme ich doch Schiss. Was, wenn sie mich nicht reinlassen? Sind schließlich sozialistische Beamte, die kennen keinen Spaß, weiß man ja. Aus DDR-Filmen und so.

Ich gehe auf den Zollbeamten zu. Olivgrüne Mütze, olivgrünes Hemd. Sozialismus eben. Ein angegrauter Vollbart, tatsächlich. Klischee bestätigt. Kuba. Der Beamte schaut über seine dicke Brille hinweg in meinen Pass. „De Alemania?“, fragt er. Ich versuche ein Grinsen: „Si, si“. Er lacht. „Aaah. El portero“. Es ist der 1. Juli 2002. Der Tag nach dem Finale. 30 Stunden vorher hatte ich in Übach-Palenberg gesessen, mit 30 von 25.000 Einwohnern der Stadt im Garten eines Freundes. Zum letzten Mal mit allen, bevor sie weggingen, studieren. Es hat nur ein bisschen wehgetan, als Oliver Kahn Rivaldos Schuss abprallen ließ. Es war kein Schock wie bei Letchkov 1994 oder bei Suker vier Jahre später. Nur schade.

Den Vorrundensieg gegen Kamerun hatte ich auf meiner Zivildienststelle gesehen. Unser Krankenwagen parkte vor der Rettungswache, elektronische Kennung „nicht erreichbar“. Nach dem Halbfinale gegen die Mannschaft Südkoreas verabschiedete ich mich von meinem alten Golf II.

Autokorso in Köln, sieben Mann im Auto, dazu einer auf dem Dach und einer im Kofferraum. Mit anderen Fußballfans hatten wir einen Supermarkt in der Nähe vom Rudolfplatz geplündert und Zigaretten, Bier und eine Salami herausgeschleppt. Ein paar Wochen vorher mein letztes Spiel: In der Kreisliga, als Torwart, „portero“.

Jetzt Kuba. Ohne Plan, zweieinhalb Monate Zeit. „King Kahn: El Pobre“, zeigt der Grenzer Mitgefühl. Er stempelt und winkt mich durch. Ich freue mich. Aber Kahn tut auch mir leid.

KLAUS JANSEN