: Das Öl durchsichtig machen
TRANSPARENZ In Reaktion auf Skandale in Nigeria und Angola versuchen internationale Initiativen, die Ölindustrie zu durchleuchten
■ Publish What You Pay: Dachverband zivilgesellschaftlicher Gruppen in rund 70 Ländern, der sich für die gesetzliche Verpflichtung zur Offenlegung aller Zahlungen und Einnahmen im Rohstoffsektor einsetzt. www.publishwhatyoupay.org
■ Extractive Industries Transparency Initiative: eine Initiative zur freiwilligen Offenlegung und Kontrolle von Finanzströmen im Zusammenhang mit der Rohstoffförderung, bislang in 34 Ländern aktiv. www.eiti.org
■ Global Witness: eine britische Nichtregierungsorganisation, die regelmäßig über Korruption und Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Ölförderung, Bergbau und Abholzung berichtet. www.globalwitness.org
■ Business & Human Rights Resource Centre: eine mehrsprachige Onlineforschungseinrichtung, die sowohl positive als auch negative Nachrichten und Berichte über die Aktivitäten von Konzernen weltweit sammelt. www.business-humanrights.org
VON DOMINIC JOHNSON
Was im Golf von Mexiko eine Ausnahme darstellt, ist im Golf von Guinea Alltag. Nigerias Ölgebiete im Nigerflussdelta halten den Weltrekord in Verschmutzung und Unfällen mit Ölaustritt: 13 Millionen Barrel „verlorenes“ Öl seit Förderbeginn vor gut fünfzig Jahren – das ist eine komplette Exxon-Valdez-Ladung Rohöl pro Jahr, die direkt in den Mangrovenwäldern und Sümpfen des dicht besiedelten Nigerdeltas landet statt in Pipelines und auf Tankern. Felder und Flussläufe sind heute chronisch verseucht, es gibt Gegenden, in denen das Grundwasser schwarz ist, und andere, wo aufgrund des Abfackelns des bei der Ölförderung austretenden Erdgases seit Jahrzehnten kein Sternenhimmel mehr zu sehen ist.
Wegen dieser Zustände stand der Ölmulti Shell vor 15 Jahren ähnlich als globaler Buhmann da wie heute BP. Als nigerianische Umweltschützer mit friedlichen Mitteln gegen die menschenunwürdigen Lebensbedingungen im Nigerdelta und gegen die Kumpanei zwischen dem Ölkonzern und Nigerias damaliger Militärdiktatur protestierten, wurde ihr Anführer Ken Saro-Wiwa samt seinen Mitstreitern im Jahr 1995 erhängt. Nigeria wurde mit internationalen Sanktionen belegt, Shell wurde Ziel globaler Boykottkampagnen, und die Unzufriedenen im Nigerdelta griffen zu den Waffen.
Immerhin trug Nigerias Shell-Skandal von 1994/95 zu einem Umdenken in der Ölindustrie bei und setzte Reformprozesse in Gang. Das undurchsichtige Geflecht aus Ölmultis und Staatsfirmen in Nigeria, das mit vertraulichen Deals das Verschwinden von Abermilliarden von Öleinnahmen in den Taschen einer kleptokratischen Elite erst möglich macht, ist heute in den neuen Ölförderländern wie Ghana oder Uganda höchstens noch ein abschreckendes Beispiel. Und Regierungen wie in Angola oder Äquatorialguinea, die genaue Rechenschaft über den Verbleib ihrer Ölmilliarden verweigern, stehen international am Pranger.
Zwielichtige Finanzierung
Bergbau und Ölförderung stehen weltweit unter Rechtfertigungsdruck, weil sie als die einträglichsten Quellen zwielichtiger Finanzierung für Regierungen und deren Gegner in Konfliktgebieten gelten. Die meisten Initiativen dagegen haben ihren Ursprung in London, wo sich der globale Rohstoffhandel konzentriert. Auf Initiative der britischen Kampagnenorganisation Global Witness entstand im Jahr 2002 sowohl der Selbstregulierungsmechanismus „Kimberley Process“ der internationalen Diamantenindustrie als auch die Transparenzinitiative „Publish What You Pay“, die eine gesetzliche Offenlegung aller Einnahmen von Konzernen und Regierungen sowie Kontrolle der Ausgaben aus der Rohstoffförderung fordert. Beide Initiativen hatten den Bürgerkrieg in Angola zum Ursprung, einen der längsten und verheerendsten Konflikte Afrikas, bei dem sich bis Kriegsende 2002 die Regierung aus Öleinnahmen und die Unita-Rebellen aus Diamanteneinnahmen finanzierten.
Doch Angola, dessen Bruttosozialprodukt sich zwischen 1997 und 2008 dank der Ölförderung verzehnfachte, lehnt verpflichtende Regelwerke oder auch nur die unabhängige Überprüfung der Finanzströme im Ölsektor nach wie vorab. Und der einzige Versuch, ein verpflichtendes Regelwerk für die Ölindustrie eines Landes umzusetzen, ist kläglich gescheitert. Als im Tschad 1999 Öl entdeckt wurde, machte die Weltbank ihre Zustimmung zu Krediten für den Bau einer Pipeline ans Meer in Kamerun von der Annahme eines Gesetzes abhängig, wonach 10 Prozent der Öleinnahmen auf ein Londoner Treuhandkonto als „Zukunftsfonds“ fließen und vom Rest 80 Prozent in soziale Entwicklung gehen müssen. Ende 2003 wurde die Ölförderung tatsächlich unter diesen Vorgaben aufgenommen. Aber zwei Jahre und 306 Millionen Dollar Öleinnahmen später änderte die Regierung das Ölgesetz bis zur Unkenntlichkeit: Der „Zukunftsfonds“ wurde abgeschafft und der Bereich soziale Entwicklung um Militärausgaben erweitert. Die Weltbank zog sich zurück, aber die vor allem von asiatischen Firmen geleistete Ölförderung geht weiter, und mit dem Geld hat sich Tschads Präsident Idriss Déby jetzt ein modernes Waffenarsenal zugelegt.
Renitente Regierungen kann man nicht zwingen. Stattdessen hat sich das freiwillige Regelwerk „Extractive Industries Transparency Initiative“ (EITI) durchgesetzt, das die britische Regierung von Tony Blair in den Jahren 2002/03 auf die Beine gestellt hat. EITI dient dazu, Einnahmen und Zahlungsstränge in der Rohstoffausbeutung und im Rohstoffhandel gemäß allgemeingültigen Standards zu erforschen und zu veröffentlichten – allerdings auf freiwilliger Basis.
34 Länder beteiligen sich derzeit an EITI, die meisten davon in Afrika. Den begehrten Vollmitgliedsstatus, der zum Beispiel eine Höherstufung im internationalen Investitions- und Kreditrating zur Folge hat, genießen derzeit lediglich Liberia und Aserbaidschan. Zahlreiche wichtige Ölförderländer in Afrika sind EITI ferngeblieben: sämtliche Staaten Nordafrikas, Sudan, Äquatorialguinea und Angola.
Dort, wo die Initiative greift, verbessert sie die Zustände zwar nicht automatisch, aber sie bringt Debatten in Gang. In der Demokratischen Republik Kongo ermöglichte das EITI-Verfahren erstmals Einblicke in die Finanzbeziehungen zwischen Privatkonzernen und Staat. Der jüngst veröffentlichte erste EITI-Überprüfungsbericht des Landes, der das Jahr 2007 betrifft, stellte zwei verblüffende Dinge fest: Die Regierung verdient mehr Geld mit dem Export von Öl als mit dem von Mineralien, obwohl Kongos Ölförderung verschwindend gering ist; und anders als landläufig vermutet geben die Staatsdienste nicht zu wenig Einnahmen von Konzernen an, sondern zu viel.
Der jüngste EITI-Prüfbericht für Nigeria behandelt das Jahr 2005 und meldet, dass die staatliche Ölgesellschaft NNPC (Nigerian National Petroleum Corporation), Partner der Ölmultis, der Regierung 4,7 Milliarden US-Dollar schuldet. Außerdem, so der Bericht, sei es „bemerkenswert, dass ein viel größerer Anteil der Staatseinnahmen aus der Industrie aus dem Verkauf von Rohöl und Gas stammt als aus der Besteuerung der Unternehmen“ – jeweils 22 und 15 Milliarden Dollar. Beide Befunde deuten darauf hin, dass Nigerias Staat die Firmen, egal ob NNPC oder Ölmultis, zu nachsichtig behandelt. Nach wie vor werde überdies trotz Verbots ein Drittel des bei Nigerias Ölförderung entweichenden Erdgases abgefackelt.
Der Krieg ist nicht vorbei
Solche Daten und Erkenntnisse hätte die Öffentlichkeit ohne EITI nicht. Möglicherweise aber nährt es auch einfach die Unzufriedenheit der Menschen in den Fördergebieten, wenn Missstände zwar bekannt gegeben, aber nicht abgestellt werden. Nigeria hat seit März zwar zum ersten Mal in seiner Geschichte mit Goodluck Jonathan einen Präsident, der aus dem Ölgebiet stammt; aber der Krieg, der das Nigerdelta seit Jahren erschüttert, ist nicht endgültig vorbei, und die größte Rebellenbewegung, MEND (Bewegung für die Emanzipation des Nigerdeltas), drohte diese Woche damit, erneut zu den Waffen zu greifen.
Unterdessen geht es weiter mit Sabotageakten und Unfällen in Nigerias Ölgebiet. Allein vergangene Woche entdeckte ExxonMobil ein Loch in einer Pipeline von einem Bohrturm zum Festland, das die Produktion um täglich 150.000 Barrel reduziert. Und neue Lecks und Brände an der großen, immer wieder von Rebellen und Schmugglern sabotierten Trans-Niger-Pipeline zwangen Shell wieder einmal zum Ausrufen von „höherer Gewalt“, um Lieferausfälle zu rechtfertigen. Nigerianischer Alltag.
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