: Eine unauffällige Ampution
Der „Gesundheitsfonds“ wird nicht die Herausforderungen des Gesundheitswesens meistern. Aber er hilft, das deutsche Sozialsystem zu Lasten der Bürger umzubauen
Eigentlich bietet der Gesundheitsfonds durchaus viel versprechende Ansätze. In der neuesten Kreation bundesrepublikanischer Gesundheitspolitik findet sich davon allerdings nichts. Die Fondsidee entspringt einzig dem politisch vorgegebenen Zwang nach großkoalitionärer Einigung unter Wahrung des eigenen Gesichts wie der Einzelinteressen jeweiliger Unterstützergruppen.
So wenig Konkretes bisher zum „Gesundheitsfonds“ bekannt ist, eins lässt sich schon heute sagen: Das vorgeschlagene Konzept wird nicht die Herausforderungen des deutschen Gesundheitswesens meistern. Stattdessen ist es ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Abbau des deutschen Sozialsystems.
Das zeigen vor allem die Punkte, bei denen sich die Partei von Bundeskanzlerin Angela Merkel durchgesetzt hat. Die BürgerInnen sollen zwar wie bisher einen Prozentanteil ihres Arbeitseinkommens für die Krankenversicherung abführen. Das Geld fließt aber in den zu bildenden Gesundheitsfonds, aus dem die Krankenkassen einen für alle Versicherten gleichen Festbetrag bekommen – so wie es das Kopfpauschalenmodell der CDU vorsah.
Hinzu kommt bei Bedarf die ebenfalls in das Fondsmodell hinübergerettete Idee von der „kleinen Kopfpauschale“, wenn Kassen nicht mit dem Einheitsbetrag auskommen, um die Gesundheitsversorgung ihrer Mitglieder zu bezahlen. Das soll den Kassenwettbewerb weiter anheizen und die Versicherungen zu mehr Wirtschaftlichkeit, höherer Effizienz und anderen marktwirtschaftlichen Wunschvorstellungen zwingen.
Weltweite Erfahrungen zeigen aber: Konkurrenz zwischen Krankenversicherungen führt zunächst einmal zu Risikoselektion und Rosinenpickerei. Allerorten bemühen sich GesundheitspolitikerInnen um geeignete Regulierungen und Anreizsysteme, um diesem Effekt zu begegnen. Doch das gelingt allenfalls nachholend und teilweise, schließlich ist es wirtschaftlich rational, möglichst viele junge Gesunde und wenig alte Kranke zu versichern. Das gilt in besonderem Maße, wenn die Kassen für alle Versicherten denselben Pro-Kopf-Betrag erhalten. Auch wenn die gesetzlichen Kassen im Prinzip jede AntragstellerIn nehmen und die Versorgung finanzieren müssen, wird das Ringen um die „guten Risiken“ im Fondsmodell die bisher bekannten Selektionsstrategien um viele Ideen bereichern.
Zusätzliche Ungerechtigkeiten birgt der Gesundheitsfonds, weil Kassen mit wenig wechselfreudigen älteren und chronisch kranken Versicherten in Zukunft eine Art Strafzoll verlangen müssen. Das wird die Internet-Generation beim Wechsel bestärken und die Konzentration „schlechter Risiken“ mit weiter steigenden „kleinen Kopfpauschalen“ erhöhen. Dieser Teufelskreis verstärkt die Tendenz zur Zweiklassenmedizin, den die besonders belasteten Kassen auch bei höchster Effizienz und Wirtschaftlichkeit nicht ohne massive „Entsorgung“ teurer Versicherter durchbrechen können.
Dass es im Rahmen eines landesweiten Gesundheitsfonds auch anders gehen kann, hat ein Land gezeigt, das sonst eher mit Bürgerkrieg und Drogen Schlagzeilen macht. In Kolumbien zahlen Beschäftigte 12, Besserverdienende sogar 13 Prozent ihres Gehalts in einen Gesundheitsfonds ein, den die ArbeitgeberInnen zu zwei Dritteln tragen. Die Krankenkassen erhalten aus diesem Fonds einen Beitrag, der dem Risiko der Versicherten angepasst ist. So bekommt die Kasse bei einem 30-Jährigen vielleicht nur ein Viertel von dem, was er einbezahlt, während sie für einen 60-Jährigen das Dreifache des Eingezahlten erhält. Damit ist schon im Vorfeld ein Risikoausgleich geschaffen und die Jagd nach gesunden jungen Versicherten abgeschwächt. Diese Chance vertut das deutsche Fondsmodell leichtfertig.
Ein zweiter Erfolg, den die CDU verbuchen könnte, ist die zumindest formale Loslösung der Arbeitgeberbeiträge vom Beschäftigtenanteil. Damit steigen die Chancen, über kurz oder lang die Sozialversicherungsabgaben der Unternehmen einzufrieren und die paritätische Finanzierung zu beseitigen – womit ja Rot-Grün bereits begonnen hat. Dass keiner mehr von der Erweiterung der Bemessungsgrundlage spricht, schützt das Einkommen der BesserverdienerInnen. Und trotz anderslautender Einzelmeinungen passt es zum gesundheitspolitischen Dogma der CDU, die private Krankenversicherung als Vollversicherung für die Bessergestellten derzeit nicht anzutasten.
Die SPD ist mit der vom Exvorsitzenden Matthias Platzeck angestoßenen Debatte um die Neujustierung von sozialer Gerechtigkeit offenbar so weit, dass sie sich mit der Beibehaltung der lohnabhängigen Beitragsfinanzierung zufrieden gibt. Sie ziert sich noch, die ArbeitgeberInnen aus der paritätischen Pflicht zu entlassen, dürfte sich aber damit abgefunden haben, dass die Gesunderhaltung und soziale Absicherung von ArbeitnehmerInnen immer weniger lukrativ wird. Das scheint ihr unvermeidlich in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, steigender Selbstständigkeit, expandierender Niedriglöhne und kurzfristiger Gewinnmaximierung. Zumal sich die einstige Partei der Arbeiter ja schon lange und ohne Not dem Diktat zu senkender Lohnnebenkosten unterworfen hat.
Auch die Heranziehung von Steuermitteln im Rahmen des Gesundheitsfonds könnte SozialdemokratInnen unter Verweis auf unser progressives Steuersystem beruhigen. Allerdings sind die Festlegung des entsprechenden Haushaltstitels und vor allem die Zuverlässigkeit pauschaler Zuwendungen gerade in Zeiten knapper Staatskassen problematisch. Grundsätzlich ist im Sozialversicherungssystem nichts gegen eine Zusatzfinanzierung aus dem Staatshaushalt einzuwenden, und kein Land der Erde kommt ohne die Kombination unterschiedlicher Ressourcen aus.
Auch die Deutschen zahlen schon jetzt mit ihren Steuern einen Teil der Gesundheitsversorgung, neben dem Bau und Erhalt von Krankenhäusern vor allem die Beiträge für LandwirtInnen, Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen. Dort sind die Steuermittel nachvollziehbar und gezielt eingesetzt, um den Anspruch von sozial Schwachen auf medizinische Versorgung sicherzustellen. Im zukünftigen Gesundheitsfonds unterliegen die Steuerzuweisungen aber wesentlich stärker politischen Vorgaben und Schwankungen.
Die deutsche Reformdebatte zeigt nicht zuletzt, welches Ausmaß die Unverfrorenheit bundesdeutscher PolitikerInnen mittlerweile angenommen hat. Unermüdlich predigen sie „weniger Bürokratie“ und „mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen“ und zeigen, dass sie nichts verstanden haben. Denn mehr Markt führt allerorten zu höherem Verwaltungsaufwand und steigenden Kosten, übrigens auch in Deutschland seit Einführung des Krankenkassenwettbewerbs. Diese Tendenz wird das bürokratische Monstrum „Gesundheitsfonds“ weiter steigern, das als teures Beschäftigungsprogramm, aber nicht als Mittel zur Kostendämpfung geeignet ist. JENS HOLST