: „Die EU-Mittel sind für alle da“
In Chrzanow an der ukrainischen Grenze stimmten 96 Prozent für die nationalkonservative Recht und Gerechtigkeit (PiS), in Czyze an der Grenze zu Weißrussland 81 Prozent für die liberalkonservative Bürgerplattform (PO). Ein Besuch in beiden Dörfern
■ Am 20. Juni wählen die Polen einen neuen Präsidenten. Der Urnengang musste wegen des Todes von Amtsinhaber Lech Kaczynski bei einem Flugzeugabsturz in Smolensk am 10. April vorgezogen werden. Von den zehn Kandidaten haben nur zwei Chancen auf einen Sieg: der Interimspräsident und Kandidat der liberalen Regierungspartei Bürgerplattform (PO), Bronislaw Komorowski, sowie der ehemalige Regierungschef Jaroslaw Kaczynski, der für die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) antritt. Laut einer Umfrage des Instituts PBS DGA vom Mittwoch käme Komorowski auf 48, Kazcynski nur auf 34 Prozent der Stimmen. Sollte eine Stichwahl erforderlich werden, fällt die Entscheidung am 4. Juli.
VON GABRIELE LESSER
An der Einfahrt zu Chrzanow steht ein hässliches unverputztes Gebäude. „Sklep“ verkündet ein verblasstes Schild – Laden. Die Bauernhöfe, rechts und links der Straße gelegen, sind groß und gepflegt, ebenso die Ställe und Scheunen. Chrzanow, nahe der ukrainischen Grenze, ist ein reiches Dorf. Auch das große und gerade renovierte Bürgermeisteramt mit kleiner Bank, Post und Apotheke kündet vom Wohlstand.
Doch Gemeindevorsteher Czeslaw Jaworski (55) legt die Stirn in Sorgenfalten: „Es wird immer schwieriger. Jetzt fahren unsere Jungbauern schon als Saisonarbeiter nach Deutschland und pflücken Erdbeeren oder Kirschen.“ Der Schweiß rinnt ihm die Schläfen herab. Nicht nur die Hitze, auch das Wahlergebnis seiner Gemeinde vor fünf Jahren macht ihm zu schaffen: „94 Prozent PiS!“ Er ringt nach Worten: „Die Leute hören zu viel Radio Maryja. Und das sind dann die Folgen.“ Der Pfarrer sei auch für die PiS und der Schuldirektor sogar in der Partei. Das seien die wichtigsten Leute im Dorf. „Ich fühle mich auch mitschuld. Denn ich habe das damals einfach laufen lassen. Im Dorf waren fast alle gegen den EU-Beitritt, und Lech Kaczynski war auch immer gegen die EU.“
Fast eine Stunde dauert die Rundfahrt durchs 3.300 Einwohner zählende Dorf. Insgesamt sind es fünf Weiler, die der Einfachheit halber durchnumeriert sind. Die Schulen wurden mit EU-Mitteln gebaut oder renoviert, die Straßen und Bürgersteige, die Feuerwehrremise und das Bürgermeisteramt. „Ich bin ja ein EU-Enthusiast“, sagt der Bürgermeister. „Vielleicht fällt das Wahlergebnis in diesem Jahr ein bisschen anders aus.“ Er steuert Chrzanow IV an. Nach einigen Kilometern taucht ein Berg auf, eine Berghütte und ein Skilift. Jaworski hält an, geht vor bis ans Geländer und weist mit ausholender Geste auf die sommerlich-unansehnliche Skipiste. „Im Winter ist hier die Hölle los. Touristen werden nach Chrzanow kommen. Da entsteht ein modernes Sportzentrum mit Restaurant.“ Er strahlt. Auf der Rückfahrt nach Chrzanow I verdüstert sich wieder sein Gesicht: „Ich tue, was ich kann, aber gegen den Priester komme ich nicht an.“
Die neue katholische Kirche auf dem Hügel strahlt in Gelb und Ocker. Dahinter steht ein neues Landhaus mit Säulen vor der Eingangstür. Der katholische Priester öffnet die Tür: „Grüß Gott! Sie sind aus Deutschland. Ich gebe kein Interview.“ Der eigentliche Gemeindepriester sei auch nicht da. „Grüß Gott!“ Dann ist die Tür wieder zu. Unterhalb der Kirche erstreckt sich ein großer Gebäudekomplex – die renovierte Mittelschule. Doch auch der Direktor ist nicht zu sprechen. Vor der Schule hängt ein einsames PiS-Wahlplakat.
Jan Taradys, ein Bauer, hat gerade ein paar Einkäufe erledigt. Ob am Sonntag wieder alle für den PiS-Kandidaten stimmen würden? „Hier hören fast alle Radio Maryja. Die Gebildeten wählen natürlich Bronislaw Komorowski von der PO. Aber hier im Dorf haben alle nur acht Jahre Grundschule besucht.“ Er selbst sei auch nicht klüger als die andern. Dennoch werde er diesmal für die PO stimmen. „Das wird billiger. Wozu unsere Steuergelder für zwei Wahlgänge verschwenden, wenn sowieso klar ist, dass Komorowski die Stichwahl am Ende gewinnen wird?“
Anderthalb Kilometer weiter steht das Haus von Maria Zolynia. Sie ist der Bürgerplattform (PO) beigetreten. Im Dorf würden manche hinter ihrem Rücken tuscheln, so als wären sie Verräter oder Abtrünnige. Barbara, ihre Schwiegertochter, sagt: „Für Kultur im Dorf gibt es sogar Geld von der EU. Aber da müsste der Gemeindevorsteher mitziehen. „Außerhalb der Schule gebe es für die Jugend in Chrzanow keinen Treffpunkt.“
Am Dorfausgang stehen ein paar 16-Jährige vor dem „sklep“. Sie tragen Unterhemden und trinken Bier aus der Dose. Eine Bäuerin zuckt die Schultern: „Wir haben gute Kinder. Kultur brauchen wir hier nicht! Alle sind fleißig und arbeiten.“
Szenenwechsel: Czyze ist ein Dorf wie aus dem Bilderbuch. Eine breite Straße, an der rechts und links Holzhäuser stehen – jeweils mit kleinem und gepflegten Vorgärten. Holzbänke laden zum Verweilen ein. Noch ist die Straße aufgerissen. Bagger fahren auf und ab. Das ganze Dorf wird an die Kanalisation angeschlossen. Schon von weiten zu sehen ist die große russisch-orthodoxe Kirche mit den blau- und türkisfarbenen Kuppeln.
Jerzy Wasiluk (40), der Gemeindevorsteher von Czyze und seinen 2.500 Einwohnern, ist gar nicht glücklich über den Rekord von 2005. „Das ist damals schon groß durch die Presse gegangen“, klagt er. „Hier wohnen fast nur Weißrussen. Wir sind zwar treue Staatsbürger Polens, aber im ganzen Dorf gibt es nur ein oder zwei Katholiken.“ Die Wahl damals sei die zwischen einem rückwärts gewandten Katholizismus und einem zukunftsorientiertem Staat in der Europäischen Union gewesen. „Damals hat Lech Kaczynski die Wahlen gewonnen, und wir standen plötzlich als diejenigen da, die fast geschlossen für den Gegenkandidaten gestimmt hatten.“ Aber die EU-Mittel seien ja für alle da. Er habe dann zusammen mit dem Gemeinderat ein Projekt nach dem anderen realisiert. „Ziel ist, den Lebensstandard zu heben“ – Straßenbau, Bürgersteige, Kanalisation und viel Kultur. „Wir wollen möglichst bald in den Tourismus einsteigen. Dazu brauchen wir ein schönes Dorf und eben unsere Kultur.“
Tatsächlich steht das gesamte Dorf mit seinen Holzhäusern bereits unter Denkmalschutz. Mehrere thematische „Pfade“ führen schon heute durch Czyyze, so der „Holz und Sacrum“-Wanderpfad sowie die Straßen „Russisch-orthodoxe Kirchen“ und „Auf den Spuren des Zaren“. Noch gebe es für die Touristen keine Hotels und Restaurants in Czyze, auch das Programm „Ferien auf dem Bauernhof“ stecke noch in den Kinderschuhen. Aber das sei nur mehr eine Frage der Zeit. Das Werbematerial werde ständig weiterentwickelt. Wenn die Touristen dann nach Unterkünften und Restaurants fragten, würden den Leuten im Dorf klar werden, dass das eine gute neue Einkommensquelle sei. „Aber hier leben ja alle seit Jahrhunderten von der Landwirtschaft. So schnell stellt man sich auf dem Land nicht um.“
In der russisch-orthodoxen Kirche findet eine Trauermesse statt. Doch Marek Jakimiuk (38), der zweite Priester in Czyze, lädt herzlich in sein Haus ein. Seine Frau bringt Kaffee, die Tochter spielt am Computer, Jakimiuk erzählt. Er habe die Jugendarbeit im Dorf übernommen. 150 Kinder seien in seiner Pfadfindergruppe, es gebe ein Jugendfeuerwehr und eine Kunstgruppe. „Wir sind eine Minderheit in Polen. Wenn wir unsere Kultur nicht pflegen, gehen wir unter. Auch die Religion gehört dazu.“ Vielleicht hätten 2005 fast alle in Czyze für Donald Tusk gestimmt, weil dieser auch einer Minderheit angehöre. Vielleicht deshalb, weil er sich weniger ostentativ katholisch zeigte. Aber das sei schwer zu sagen. Im Dorf spreche man nicht über Politik. Viel wichtiger sei es, den Kindern die Welt zu zeigen. Demnächst wolle er mit einer Gruppe von Jugendlichen nach Westeuropa fahren.
Auch Grzegorz und Maria Jakimiuk, beide um die 60 Jahre alt, reisen viel. Grzgorz ist ein Meister der weißrussischen Holzbaukunst. „Ich habe über 200 Häuser eigenhändig gebaut, eines sogar in Hamburg“. Insbesondere die Schnitzereien und die Ornamente an den Fenstern und Türen gehörten zu seiner Spezialität. Seine Frau Maria leitet seit Jahren den Folklorechor „Czyzowanie“. Alle zwei, drei Jahre gehen sie auf Tournee. „Meist fahren wir in den Osten, aber seit wir in der EU sind, steht uns die ganze Welt offen.“ Über Politik will keiner der beiden reden. Nur so viel: „Hier hört niemand Radio Maryja. Diese Ideologie ist uns völlig fremd.“
Auch Jungbauer Arkadiusz Wasiluk (21), der ein Praktikum beim Bürgermeister ableistet und nebenbei auch noch Landwirtschaft studiert, sind politische Themen zu heikel. Das Dorf werde sich nach aber sicher bemühen, nicht ein zweites Mal in die Schlagzeilen zu geraden. „Wir wollen auf keinen Fall einen zweiten Rekord aufstellen.“