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Archiv-Artikel

Rechtsrock in der „Symphonie“

RECHTSEXTREMISMUS Ohne großes Aufsehen ersteigert ein Angehöriger der Tostedter Neonazi-Szene einen alten Gasthof bei Stade – nach eigenen Angaben ist eine „gastronomische Nutzung“ geplant. Nicht nur für die Kameraden in der Region dürfte sich damit ein neuer Anlaufpunkt auftun

Ungestörte Umtriebe

In verschieden Bundesländern haben Neonazis in der Vergangenheit gezielt Großimmobilien erworben, um ungestört ihre Veranstaltungen ausrichten zu können.

■ Im thüringischen Pößneck hat sich das „Schützenhaus“ als Szenetreff etabliert. Verwalter war bis zu seinem Tod 2010 der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger – als Bevollmächtigter der „Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Limited“ mit Sitz in London. Als deren Direktor wiederum firmiert inzwischen der norddeutsche Neonazi-Aktivist Thomas Wulff, Mitglied des NPD-Bundesvorstands.

■ Im mecklenburgischen Grevesmühlen eröffnete vor kurzem das NPD-Ratsmitglied Sven Krüger seine „nationale Begegnungsstätte“, erste „Schulungen“ wurden bereits abgehalten.

■ Im sächsischen Quitzdorf am See bei Görlitz plant die NPD nach Informationen des Verfassungsschutzes ihr nächstes „Pressefest“: Gut 3.000 Besucher werden am 7. August in dem privaten Feriendorf erwartet, das einem Zollinspektor gehört. AS

VON ANDREA RÖPKE UND ANDREAS SPEIT

Früher gab es hier am Sonntag frische Brötchen: Sogar aus dem nahe gelegenen Stade kam man gerne hierher, ins Haus Wöhrden 74, zum Bäcker von Hollern-Twielenfleth. In Zukunft werden vor allem Neonazis das ehemalige Gasthaus „Zur Symphonie“ aufsuchen: um Partys zu feiern und einschlägige Konzerte zu besuchen. Denn neuer Besitzer des historischen Gebäudes ist seit Donnerstag Sebastian Stöber.

Um kurz vor halb zehn war das Geschäft perfekt: Im Saal 10 des Stader Amtsgerichts erhielt Stöber, ein Abkömmling der Tostedter Neonaziszene, für 115.000 Euro den Zuschlag. Ein Kaufmann, ein Bauunternehmer, ein Gastronom und Privatleute hatten erfolglos mitgeboten für die Immobilie plus 8.000 Quadratmeter Grundstück. Die Versteigerung angestrengt hatte die Sparkasse Stade-Altes-Land. Stöber war mit einer Begleitung erschienen und benannte seine Pläne nachher denkbar knapp: „gastronomische Nutzung“.

„Dieser Kauf wird die schon sehr starke Szene in der Region erneut stärken“, sagt Michael Quelle von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in Stade.

Immer wieder haben in den vergangenen Monaten Anhänger der Kameradschaften „Nationaler Widerstand Tostedt“ und „Gladiator Germania“ Jugendliche angegriffen. Sogar in Häuser und Wohnungen von gegen Rechts Engagierten drangen sie ein und schlugen brutal zu.

Im niedersächsischen Landtag will der Grünen-Abgeordnete Helge Limburg nachfassen, weil die Polizei vor kurzem gegenüber der taz einräumte, einen rechtsextremen Überfall nicht öffentlich gemacht zu haben. Hinter vorgehaltener Hand sagen derweil selbst hochrangige Polizeibeamte: In Tostedt und Umgebung ist es, was die Neonazi-Übergriffe angeht, nicht kurz vor, sondern schon weit nach zwölf.

Von Tostedt aus, wo mit Stefan Silar ein enger Bekannter Stöbers einen rechten Szeneladen betreibt, sind es knapp 50 Kilometer nach Hollern-Twielenfleth. Stöber zeigt sich gern mit dem Logo der „Gladiator“-Kameraden auf der Brust: einer Streitaxt. Passend zu diesem Chic ist auch die Philosophie: „Gladiatoren sind nie in der Lage gewesen den Kampf zu verweigern.“ Vermummt und betont aggressiv stellt sich die Gruppe im Internet dar – Betreiber der Seite: Stöber. Der richtete schon 2001 sein erstes Rechtsrockkonzert in der Region aus, mehr als 500 Kameraden kamen. Beim Ordnungsamt hatte er das Konzert als „Disco“ angemeldet. Nun, nach dem Kauf des Gasthauses, sind solche Tricks nicht mehr nötig.

Für die Linksfraktion im Landtag ist unverständlich, dass die Sicherheitsbehörden im Land nicht von der Transaktion wussten, obwohl die Region eine Neonazi-Hochburg sei. „Einmal mehr zeigt sich, dass der sogenannte Beauftragte für Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund im Innenministerium ein zahnloser bürokratischer Tiger ist“, sagt die innenpolitische Sprecherin der Fraktion, Pia Zimmermann.