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Archiv-Artikel

Schwierige Verhandlungen in Kiew

Knapp drei Monate nach den Parlamentswahlen in der Ukraine hat das Land immer noch keine Regierung. Der Grund: Das ehemalige Lager der orangenen Revolution von 2004 ist zerstritten. Auch eine große Koalition böte keinen einfachen Ausweg

VON BARBARA OERTEL

Der Ukraine könnten demnächst Neuwahlen ins Haus stehen. Die Abgeordneten haben nur noch bis zum 25. Juni Zeit, um eine Regierungskoalition zustande zu bringen. Doch die noch rechtzeitig zusammenzuzimmern ist schwierig. In der vergangenen Woche sah es zunächst so aus, als seien die monatelangen Koalitionsverhandlungen zwischen der Partei der ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko (BJUT), des Bündnisses „Unsere Ukraine“ von Staatspräsident Wiktor Juschtschenko und den Sozialisten gescheitert. Doch am Wochenende gingen die Verhandlungen weiter.

Alle drei Gruppierungen waren im Herbst 2004 tragende Pfeiler der orangenen Revolution gewesen, in deren Verlauf eine Wiederholung der Stichwahl um das Präsidentenamt erzwungen worden war. Diese hatte Juschtschenko gegen seinen Widersacher Janukowitsch für sich entschieden. Bei den Parlamentswahlen am 26. März dieses Jahres hatten BJUT 22,3 Prozent, „Unsere Ukraine“ 13,9 Prozent und die Sozialisten 5,6 Prozent der Stimmen erhalten. Eine „orangene“ Koalition könnte sich somit auf 243 der 450 Parlamentsabgeordneten stützen.

Das orangene Lager, das nach der Ablösung Timoschenkos als Regierungschefin im vergangenen September hoffnungslos zerstritten war, schien sich nach den Wahlen wieder zusammenzuraufen. Auslöser des Krachs bei den Koalitionsverhandlungen waren die persönlichen Ambitionen des Chefs der Sozialisten, Alexander Moroz. Er hatte für sich den Posten des Parlamentspräsidenten beansprucht.

Zwar ist Moroz mittlerweile von seiner Forderung abgerückt, macht aber die Besetzung politischer Ämter, wie etwa die der Chefs der Gebietsverwaltungen, nach Parteienproporz zur Bedingung für die Teilnahme der Sozialisten an der Koalition.

Lachender Dritter in diesem Postenschacher, das die Ukraine lähmt, könnte am Ende Wiktor Janukowitsch sein. Die „Partei der Regionen“ des ehemaligen ukrainischen Premierministers, der sich nicht entblödete, mit tatkräftiger Unterstützung von Russlands Präsident Wladimir Putin die beiden ersten Wahlgänge der Präsidentschaftswahlen 2004 dreist zu fälschen, wurde im März mit 32,1 Prozent stärkste Fraktion. Vor wenigen Tagen wollten Beobachter in Kiew schon von Koalitionsverhandlungen zwischen der „Partei der Regionen“ und „Unsere Ukraine“ wissen, was ein Sprecher der Präsidentenpartei umgehend dementierte. Es handele sich dabei lediglich um Gespräche, sagte er. Ob es jedoch zu einer großen Koalition zwischen der „Partei der Regionen“ und „Unsere Ukraine“ kommt, ist fraglich. So hat „Unsere Ukraine“ Janukowitsch im Hinblick auf eine mögliche Koalitionsbildung mehrere Bedingungen gestellt. Dazu gehören unter anderem der Verzicht auf die Forderung nach Russisch als zweiter Staatssprache sowie die Aufgabe der Position „Ukraine – ein Territorium ohne Nato“.

Diese Forderungen kommen nicht von ungefähr. So hatten vor kurzem die Regionalparlamente in einigen ost- und südukrainischen Regionen, die russischsprachig und fest in der Hand der Janukowitsch-Truppe sind, Russisch zur Regionalsprache erhoben. Vor knapp zwei Wochen kam es auf der Krim unter maßgeblicher Beteiligung der „Partei der Regionen“ zu Protesten gegen die Nato. Am 6. Juni verabschiedete das Parlament der Krim eine Resolution, in der die Region zur Nato-freien Zone erklärt wird.

Anlass war ein Besuch von Vertretern der US-Marine, die technisches Gerät mitbrachten, um ein Training im Vorfeld der internationalen Militärübung „Sea Breeze 2006“ im kommenden Monat durchzuführen. Am vergangenen Samstag berichtete die Internetzeitung Ukrainska Prawda, dass 35 US-Soldaten am Sonntag mit dem Abtransport des Militärgeräts von der Krim beginnen sollten. Besonders für Wiktor Juschtschenko dürften diese Proteste mehr als unangenehm sein, konterkarieren sie doch seinen Annäherungskurs an die Nato und die Europäische Union.

Die Ukrainer, die in ihrer Mehrheit die Ideale der orangenen Revolution ohnehin schon längst verraten sehen, können ob dieses unwürdigen Politspektakels nur den Kopf schütteln. Zwar sind laut einer Umfrage der Kiewer Stiftung Demokratische Initiativen von Anfang Juni mittlerweile 52 Prozent der Befragten der Meinung, das sich die Ukraine demokratisch entwickeln solle – 2004 fanden das nur 41 Prozent. 61 Prozent sind aber derzeit mit der ukrainischen Demokratie unzufrieden. Das sind zwei Prozent mehr als 2004 vor der orangenen Revolution.