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Archiv-Artikel

Jetzt helfen nur noch Gott und Coca-Cola

Bremen fliegt aus der „Südkurve“, weil nicht genügend Hochpreis-Tickets verkauft wurden: Das kostenpflichtige „public viewing“ ist geplatzt. Den Fans hilft unter anderem die evangelische Kirche aus der emotionalen Patsche

Das Nervigste ist das Einsammeln der Sitzpolster. Gut 600 mussten gestern in der Bremer „Südkurve“ Stück für Stück losgeknotet werden, weil sich der örtliche Veranstalter des WM-„public viewing“ heillos mit der Münchner Agentur überworfen hat, die das Übertragungs-Spektakel bundesweit organisiert. Den Münchnern gehören die Stühle, Max Lorenz die Polster. Das gemeinsame Problem: Auf ihnen saßen zu wenig Fans, die für das Erleben der „Stadionatmosphäre mit garantierter Gänsehaut“ Eintritt zahlen wollten.

Dabei war ein einzelnes „Vorrundenspiel ohne Deutschland“ mit 3,30 Euro nicht teuer. Die Dauerkarte „VIP Silber“ zu 3.298 Euro allerdings schon, die geplante Kategorie „Gold“ wurde wohlweislich wieder eingestampft. Die „perfekte Kundenbindungsmaßnahme“ verkaufte sich nicht. Ausgerechnet zum Achtelfinalspiel der deutschen Mannschaft verschwindet daher die Großbildleinwand vom Bahnhofsvorplatz, mit deren Hilfe sich die BremerInnen darüber hinwegtrösten sollten, dass die Stadt trotz Meisterschaft und Double-Gewinn vor zwei Jahren nicht zum WM-Austragungsort erkoren wurde.

In genau diese emotionale Lücke stößt das „Südkurven“-Konzept: Die privat finanzierte „WM von unten“ vermittle quasi Live-Atmo, die Suggestion einer „Stadionästhetik in der Innenstadt“. Dies ließ sich jedoch lediglich an neun von 13 geplanten Standorten verwirklichen. Neben Bremen fliegt jetzt auch noch Erlangen aus der Kurve, in Bonn wackelt die Leinwand-Arena. Mitverantwortlich ist die restriktive Sponsoring-Politik der Fifa: Nur wer die WM ohnehin unterstützt, darf sich an der Finanzierung der Viewings beteiligen.

Vor Ort wird dennoch nur auf die Münchner geschimpft. Schließlich ist der Bremer Mitveranstalter kein Geringerer als Abwehrveteran Max Lorenz, dessen Name in der örtlichen Presse nie ohne den Zusatz „Werder-Idol“ gedruckt wird. Der aber habe organisatorisch gepatzt, heißt es in München, der von ihm sehr spät engagierte Sicherheitsdienst häufige Beschwerden ausgelöst. Auch die Polizei sprach von „organisatorischen Mängeln“. Die Bremer Fans – denen die Rückerstattung im voraus bezahlter Tickets versprochen ist – können sich heute auf dem Domhof mit der eintrittsfreien Riesenleinwand einer braunen Limonade trösten. Und wer „Christian Viewing“ mag, geht in eines der 23 evangelischen Gemeindehäuser, die sich ebenfalls dem Fußball verschrieben haben. Henning Bleyl