AUTOKORSO : Sieg der Liebe
Es muss kurz nach Spielschluss sein – welcher Partie, weiß ich nicht. Auf der Straße ertönt ein vielstimmiges Hupkonzert, kurz darauf erscheint ein warnblinkender Autokorso. Ich bin neugierig: Wer hat wohl gewonnen? Ich brauche bloß einen Blick auf die Fahnen zu werfen.
Fahnen sehe ich leider keine, doch auf der Kühlerhaube der schicksten Limousine immerhin ein Gebinde aus weißen und roten Rosen. Was soll denn das für eine Mannschaft sein: Rosenheim?
Allerdings ist Rosenheim kein Land. Hm. Als ich hinten in der Nobelkarosse die wohl türkische Braut entdecke, strahlend und schön, fällt es mir endlich ein: Die Liebe! Ganz offensichtlich hat hier soeben die Liebe gewonnen, und zwar, der Lautstärke nach zu schließen, haushoch.
Natürlich ist die Liebe ebenfalls kein Land im eigentlichen Sinne, aber das macht gar nichts, denn die Liebe vermag bekanntlich alles. Sie überwindet Grenzen, Brücken und Schiedsrichterfehlentscheidungen. Sie kann als Appetitzügler auftreten und als Stimmungsmacher, als Gefühl und als Scheißgefühl, als Stadt, als Fluss, und wenn sie gerade Bock drauf hat, eben auch als Land. Im Grunde könnte man im Kreuzworträtsel alle Felder mit „Liebe“ ausfüllen – es wäre immer richtig. Warum das trotzdem keiner macht, bleibt ein Geheimnis, das jeder mit ins kalte Grab nehmen wird.
Was mich im Falle dieser Hochzeitsgesellschaft interessiert, ist freilich auch die Art und Weise, wie die Liebe hier gewonnen hat: War es ein billiger Sieg, bei dem nur ein Elfmeter zu verwandeln war, oder ein zähes Ringen gegen zahlreiche Widerstände wie Platzverweise, Nebenbuhler und zögerliche Abschlussaktionen? Ist aber auch nicht so wichtig. Hauptsache, es hat wirklich die Liebe gewonnen und nicht irgendeine Sippenräson. Die möchte ich nämlich nicht in der Finalrunde sehen.
ULI HANNEMANN