: Das patriotische Rechteck
AUSLEGEWARE Nirgendwo ist der Rasen so heilig wie in Amerika. Von den Anwesen Connecticuts bis zu den Golfplätzen von Beverly Hills rollt ein grüner Teppich über das Land
■ Fritz Haeg, geboren 1969, hat Architektur am Istituto Universitario di Architettura di Venezia und an der Carnegie Mellon University studiert.
■ 2008 baute er die Bernardi Residence in Los Angeles und stellte in der Whitney Biennale seine Animal Habitats für die ursprünglichen Bewohner Manhattans vor. Seither hat er Tierunterkünfte in Zusammenarbeit mit Museen in Europa und den USA kreiert.
■ 2005 veröffentlichte er sein Manifest gegen den Rasen, das in zweiter Auflage erschienen ist.
■ Am 27. Juni eröffnete im Aldrich Contemporary Art Museum seine Installation „Something for Everyone“, ein Gemüsegarten vor dem Eingang der Institution: www.aldrichart.org
VON CLAUDIA STEINBERG
In den USA wird mehr Gras gesät – oder wie Auslegeware verlegt – als irgendein anderes Gewächs. Für den Architekten, Künstler und Ökoaktivisten Fritz Haeg handelt es sich dabei „um eine industrielle Landschaft, die sich als organisches Pflanzenmaterial ausgibt“. Denn die Monokultur aus bestenfalls zwei gar nicht in Nordamerika heimischen Grasarten verlangt die Ausmerzung aller anderen Gewächse. Sie braucht für ihren obligaten Smaragdton Nitrogen und Phosphor, Chemikalien, die in das Grundwasser sickern und das Algenwachstum in Flüssen und Seen fördern. Gar nicht zu reden von den Unmengen Wasser, die Rasensprenger in einer Wüstenstadt wie Los Angeles – Haegs Wohnsitz – vergeuden: ein Drittel des ganzen Wasserbudgets. Nicht zuletzt verschmutzt eine Stunde Mähen mit einer benzinbetriebenen Maschine die Luft ebenso wie eine fünfhundert Kilometer lange Autofahrt.
In seinem gerade in zweiter, erweiterter Auflage erschienenen Buch „Edible Estates: Attack on the Front Lawn“, das Essays prominenter Gartendesigner und Landwirtschaftler enthält, beklagt der Ernährungsexperte Michael Pollan, dass Gras weder sterben noch blühen und seinen Samen verstreuen dürfe: „Der Rasen ist von Sex und Tod gereinigte Natur. Kein Wunder, dass die Amerikaner ihn so lieben.“
Trotz der alarmierenden Mischung aus Gift, Vergeudung und Monotonie fühlt sich die Bevölkerung dem makellos gestutzten Rechteck vor der Haustür patriotisch verpflichtet, als handelte es sich um eine horizontal ausgebreitete Flagge. So wählte Fritz Haeg vor fünf Jahren gezielt das Wochenende des 4. Juli für die Vernichtung eines 8 mal 11 Meter großen Fleckens struppigen Bermudagrases vor dem Einfamilienhaus von Stan & Priti Cox in Salina, Kansas. Das Ehepaar war gern dazu bereit, sein plattes, liebloses Rasenstück gegen einen üppigen Gemüsegarten einzutauschen.
Fritz Haeg hatte die Bepflanzung mit Mangold, Erdbeeren und Kürbissen direkt am Bürgersteig als subversive Aktion geplant – schließlich insistieren die meisten Hauseigentümervereinigungen, deren striktem Reglement rund 57 Millionen Amerikaner unterliegen, auf einer gut gewässerten, gedüngten, gejäteten Grasfläche von höchstens 10 Zentimeter Höhe und verbieten den Anbau von Obst und Gemüse.
Haeg, ein sanfter, leiser Mann, hoffte, für seine subversive botanische Aktion von den örtlichen Behörden verhaftet zu werden. Zu seiner Überraschung tauchte statt der Beamten mit dem ersten Spatenstich am frühen Morgen eine Handvoll Jugendlicher auf, die zwei Tage lang unaufgefordert schufteten – für die Kids aus Salina, einer Stadt mit 46.000 Einwohnern im Epizentrum der Nation, wo Getreidesilos die meisten Häuser überragen, war der Anbau von Kräutern und Salaten ebenso exotisch wie für Teenager in New York City.
Auch die Nachbarn demonstrierten eher Neugierde als Feindseligkeit. Und so war es in allen Metropolen, Suburbs und Exurbs, wo Haeg im Zusammenarbeit mit lokalen Museen (darunter der Tate Gallery und dem San Francisco Moca) langweiliges Grün gegen Obst und Gemüse austauschte: „Ich betrachte die Transformation der Vorgärten vor allem als ein soziales Instrument – wer Bohnen und Mais vor dem Haus pflanzt, kennt bald alle seine Nachbarn. Was ist schon unkommunikativer, als sich alle zwei Wochen mit Kopfhörern auf die Mähmaschine zu setzen?“
Fritz Haeg gibt zu, dass „der amerikanische Rasen im Unterschied zur originalen englischen Version ursprünglich auf das Gemeinwohl ausgerichtet war“: In der Tudorzeit wurde er als Geste ostentativer Verschwendung von fruchtbarem Land um Güter und Schlösser erfunden, während man die Agrikultur aus der Sichtweite verbannte – in den USA dagegen zeichnete sich das „kommunale Grün“ durch seine demokratische Intention aus.
Doch längst ist das domestizierte Stück Natur vor dem Haus zum Symbol der Abgrenzung verkommen. Als Aushängeschild für gepflegten Grund und Boden ist der Rasen den Grundstücksmaklern teuer, er fungiert als Währung wie der Dollarschein.
Der Ernährungswissenschaftler Pollan spürte als Kind in den 60er Jahren zum ersten Mal „den heißen Atem der Mehrheitstyrannei“, weil sein Vater den Rasen im Vorgarten verwildern ließ. Die Nachbarn boten wiederholt ihren eigenen Mäher an – „das Messer der Zivilisation“ –, schließlich beauftragten sie den einzigen verbliebenen Freund des „Dissidenten“, ihn an seine Bürgerpflichten zu erinnern.
Haeg sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der rasant wachsenden Popularität von Nutzgärten und dem Platzen der Immobilienblase: Die aktuelle Wirtschaftskrise hat die notorisch rastlosen Amerikanischer zur Sesshaftigkeit gezwungen. „Man legt keinen Garten an, wenn man im nächsten Jahr umziehen will“, erklärt Haeg, selbst ein chronischer Nomade. „Ein Gemüsegarten vor dem Haus ist zu individualistisch, um die Grundstückspreise zu heben, damit macht man keinen schnellen Sale.“
Die akute Finanznot tut ein Übriges, um Vorstädter zu Subsistenzfarmern zu machen, wie während des zweiten Weltkrieges – 1945 hatten 80 Prozent aller Haushalte War Gardens und dann Victory Gardens, die jedoch sehr bald dem rapide wachsenden Wohlstand der Nachkriegsära zum Opfer fielen. Haeg hofft auf eine Wiederbelebung der urbanen Landwirtschaft. Angesichts der immer weiter expandierenden Food Deserts, in denen nichts als frittiertes, überzuckertes und chemisch konserviertes Essen zu finden ist, glaubt er an die Oase vor der eigenen Schwelle, die das „banale, leblose Feld uniformen Grases durch den chaotischen Reichtum der Biodiversität ersetzt.“
Damit zählt Fritz Haeg, der nicht nur die Pflanzung attraktiver Gemüsegärten, sondern auch den Bau eleganter Unterkünfte für einstige Bewohner unserer heutigen Städte wie Biber, Waschbären, Adler und Kojoten zu seiner künstlerischen Praxis zählt, zur radikalsten Fraktion der „Locavore“-Bewegung. Längst ist sie mit Bauernhöfen auf den Dächern von Brooklyn und Bienenstöcken in Manhattan in den Trend gerückt, doch werden nach wie vor nur zwei Prozent aller Nahrungsmittel in den USA lokal angebaut. Noch ist nicht absehbar, ob die ehemaligen Kartoffeläcker in den Hamptons, die mit dem sattesten Rasen der Nation bepflastert sind, in absehbarer Zeit wieder in ihren ländlichen Zustand zurückkehren werden.
Das Gemüse auf einem typischen amerikanischen Dinnerteller hat eine Lkw-Reise von durchschnittlich 2.000 Kilometern hinter sich. Es stimmt Haeg optimistisch, dass seit Beginn der Rezession der Verkauf von Gemüsesamen rapide zugenommen hat, doch wird zugleich mehr Gras gesät denn je – und von den grünsüchtigen Hausbesitzern mit zehnmal so viel Pestiziden behandelt wie selbst kommerzielle Äcker. Umso absurder erscheint es Haeg, dass die Produkte, die eine befreundete Landwirtin auf ihrer Rooftop Farm in Brooklyn erntet, wegen der Autoabgase mit größter Skepsis betrachtet werden. „Wer fragt denn nach der Luftqualität an jenem unbekannten Ort, wo unser in Plastik verpackter Supermarktsalat gedieh?“
Ende Juni wird Fritz Haeg für das Aldrich Museum in Connecticut eine essbare Landschaft entlang des Bürgersteigs kreieren – Museumsangestellte, Besucher und Passanten sind eingeladen, das interaktive Kunstwerk zu konsumieren. Wenn er in Florida, Texas oder Tennessee das Erdreich umpflügt und Miniaturäcker am Straßenrand bepflanzt, spielt er ihre Identität als Kunstinstallationen bewusst herunter: „Alles, was mit Kunst zu tun hat, wird zunächst als Ironie gesehen – ich aber meine diese Gärten ganz und gar ernst.“