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Archiv-Artikel

alles gute von WIGLAF DROSTE

Für die WM 2006, das kann man schon jetzt sagen, gilt der schöne deutsche Satz: Es war nicht alles schlecht, es gab auch viel Gutes. Die notwendige Autofahrt von Berlin nach Hamburg am 24. Juni fand während des Achtelfinalspiels Deutschland – Schweden statt. Das erwies sich als perfekter Schachzug: Die Autobahn war so leer, dass man auf nahezu komplett freier Straße durchbrettern konnte, gebremst nur von Geschwindigkeitsbegrenzungen. Der große Fußballspieler Mehmet Scholl formulierte einst weise: „Hängt die Grünen, solange es noch Bäume gibt.“ Aktualisiert könnte man verlangen: Überrollt die Grünen in den verkehrsberuhigten Zonen, die sie als ihr einziges politisches Erbe hinterließen.

Auch sonst sorgt die WM für viel Klarheit: Parks und Badeseen werden von Bollos und Proleten samt ihren Kötern und Ghettoblastern nicht aufgesucht. Die Naffels und Dämels tragen das Gebrüll, aus dem sie ausschließlich bestehen und das sie deshalb ständig entäußern müssen, zur WM-Zeit in klar umrissene, eingezäunte Bereiche. Die freiwillige Selbsteinlieferung soll nach dem 9. Juli bitte nicht aufhören, die IQ-ab-50-abwärts-Zonen dürfen unbedingt beibehalten werden. Einen dicken hohen Zaun drumrum machen ist indes Bedingung, schalldichte Überdachung wäre besser, abschließen und den Schlüssel wegwerfen am besten – aber das geht nicht, wegen der schönen Demokratie, also der Idee, dass über Erwachsenenangelegenheiten auch Leute mitzureden hätten, die das weder können noch wollen.

Zum Wesen des Idioten gehört es, sich in der Masse am wohlsten zu fühlen; aktuell heißt das „Public Viewing“. Der Geisteszustand dort ist Brühe und kann auch gesungen werden: „O, wie ist das schön …“ Wer Ohren am Kopf hat, weiß: Nein, schön ist das nicht. Aber auch für Menschen mit extrem eingeschränkter, konfektionierter Emotionswelt muss es Lieder geben, mit deren Hilfe sie ihre sogenannten Gefühle ausdrücken.

Zu den kollektiv simulierten Empfindungen zählen auch Freude und Lachen – wofür Oliver Pocher zuständig ist, das „Media Markt“-Witzbold-Modell, das die aggressiven Bedürfnisse nach Schadenfreude und Nachtreten bedient. Zum Ausscheiden der Niederlande hatte Pocher einen Spot produziert, in dem er den Oranje-Spielern den WM-Pokal mit nachgemachtem holländischen Akzent präsentiert: „Scho, dasch wäre Ihr Preysch geweyschen.“ Da war er wieder, der deutsche Drecksack, revanchistisch, bundeswehrblöde und also comedytauglich. Wer Pochers grinsige Übergriffigkeit mit Humor verwechselt, ist mit lebenslänglich „Media Markt“ dann auch richtig bedient.

Aus fußballästhetischer Sicht ist das Turnier eher mäßig, bietet aber Momente der Unterhaltsamkeit. Als es im Spiel Schweiz – Ukraine zum Elfmeterschießen kommt, macht eine Frau am Tisch auf ahnungslos und fragt demonstrativ naiv: „Wie lange dauert denn Elfmeterschießen? Bis alle elf drin sind?“ Mehrere Herren tappen in die Falle und beginnen gönnerhaft, ihr das Regelwerk beizubiegen. Männer erklären gern, auch einer Frau, der man über Fußball nichts erzählen muss. Sie hatte nur mal kurz nachsehen wollen, ob die alten Reflexe noch funktionieren.