: Entspannt pitchen im Assessment
Was ist heutiger, was näher dran an Berlin: Ein Punk-Club in Peking, Schrebergärten für Ankara oder ein Zauberhut für Bären? 15 Nachwuchsfilmer aus zwölf Ländern bewerben sich mit ihren Kurzfilm-Ideen um Förderung des „Berlin Today Award“
VON JAN KEDVES
Eine Rockkneipe im Chaoyang-Distrikt von Peking. Die Bühne ist winzig, eine zerrissen gestylte Combo schrammelt kantige Punk-Nummern runter. 300 junge Chinesen quetschen sich in den Laden, die Dropouts der chinesischen Wirtschaftswundergesellschaft. Im Land der Weichspüler-Karaoke-Kultur gilt Punk noch als dissident. Der Betreiber der Kneipe, Ghouzi, hat in den Neunzigern drei Jahre in Berlin gelebt und einiges vom damaligen Do-it-yourself-Ethos der Stadt zurück mit nach Peking gebracht. „Sieht ja aus wie in Prenzlauer Berg hier!“, staunen deutsche Touristen, wenn sie das „Yugong Yishan“ betreten.
Bald soll damit allerdings Schluss sein: Peking wird für die Olympiade 2008 herausgeputzt, Ghouzis Laden soll protzigen Hochhäusern weichen. „Yugong Yishan or Made in Berlin“, so der Titel von Joanna Vasquez Arongs poetisch-politischem Kurzfilm. Noch kann man ihn allerdings nicht sehen. Er ist nämlich noch gar nicht gedreht. Vorerst existiert er lediglich auf Papier, als eines von zehn Kurzfilm-Projekten, die sich in diesen Tagen um ein Produktionsstipendium des „Berlin Today Award 2006/07“ bewerben – im Filmjargon heißt es schöner: pitchen.
Sonntagvormittag in Charlottenburg. Die fünfzehn Nachwuchsfilmer aus zwölf Ländern, die es im Auswahlverfahren des diesjährigen „Berlin Today Award“ in die zweite Runde geschafft haben, drängeln sich in einer Altbauwohnung um einen großen Tisch. Alle von ihnen waren Teilnehmer des letzten „Berlinale Talent Campus“, jetzt haben sie fünf Tage Zeit, einem Experten-Gremium ihre Konzepte zu erklären und sie vielleicht auch ein bisschen umzuschreiben. Die Aufgabe lautete wie immer: eine Idee für einen digital gedrehten Kurzfilm – mit Berlin-Bezug natürlich.
Von dem hässlichen Wort „Assessment“ scheint sich hier niemand einschüchtern zu lassen, alle Teilnehmer wirken hochkonzentriert. Immerhin geht es auch um viel Geld: Das Medienboard Berlin-Brandenburg stellt pro Film ein Produktionsbudget von 50.000 Euro zur Verfügung, dazu kommen jeweils noch etwa 20.000 Euro Sach- und Dienstleistungen von der Berlin-Brandenburger Filmindustrie. Nur drei Filme dürfen im Herbst allerdings gedreht werden. Dass sich ein Engagement beim „Berlin Today Award“ lohnt, haben die Gewinner der letzten Jahre gezeigt: „BerlinBeirut“ von der Libanesin Myrna Maakaron und „Alright Love“ von dem Finnen Samuli Valkama wurden nach ihrer Premiere beim „Berlinale Talent Campus“ weltweit auf Festivals herumgereicht und konnten mehrere Preise einheimsen.
Eine unangenehm verbissene Ellenbogenatmosphäre herrscht in der Altbauwohnung trotzdem nicht: Wer sich geringe Chancen auf ein Weiterkommen ausrechnet, kann die fünf Assessment-Tage immerhin noch nutzen, um Kontakte zu knüpfen. Das meint auch, was Frank Stehling, der den Wettbewerb für das Medienboard Berlin-Brandenburg koordiniert, als er in seiner Begrüßungsansprache von „Nachhaltigkeit“ spricht.
Die Filmideen, die in diesem Jahr eingereicht wurden, haben mal mehr, mal fast nichts mit Berlin zu tun: Rhoda Kawinga aus Sambia beispielsweise möchte einen Animationsfilm über ein afrikanisches Mädchen drehen, das mit seiner wollenen Zaubermütze den Berliner Bären vor einer bösen Katze rettet. Um Integration soll es hingegen in dem Film gehen, der dem Spanier Pablo Guirado Garcia und der Chilenin Verena Vargas vorschwebt: Ein in Berlin lebender Pole trägt einen Virtual-Reality-Helm, der ihm einflüstert, was er tun muss, um ein „richtiger Deutscher“ zu werden.
Im Einzelgespräch mit dem Gremium des „Berlin Today Award“, das neben Frank Stehling aus Vertretern der Berliner Filmbranche sowie einer Script-Dramaturgin besteht, geht es denn auch gleich ans Eingemachte: Warum sollen in einem Film, der doch eigentlich von Integration handelt, ständig dicke Titten vorkommen? Die Köpfe der beiden Jungautoren qualmen, doch so richtig können sie diese Frage nicht beantworten. Also nochmal dran feilen, thank you, die Nächsten bitte.
Cagla Zencirci aus der Türkei und Guillaume Giovanetti aus Frankreich möchten einen Film über Berliner Schrebergartenkolonien drehen – und darüber, wie auch der Moloch Ankara von solchen Gärten profitieren könnte. Frage des Gremiums: Wie wollen sie in Berlin Akteure finden, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen? Das sei überhaupt kein Problem, versichern die beiden: Im Iran und in Pakistan hätten sie auch schon gedreht, ohne die Landessprache zu beherrschen. Kommunikation liefe ohnehin zu neunzig Prozent auf nonverbaler Ebene. Die Jury-Mitglieder stutzen: Soll so viel blindes Vertrauen in Hände und Füße mit 50.000 Cash belohnt werden?
Am Donnerstag werden die drei Finalisten, die ihre Filmideen realisieren dürfen, bekannt gegeben. Bis jetzt hat die Philippinerin Arong mit ihrem Plan, die letzten Tage des „Yugong Yishan“ in Peking festzuhalten, die besten Chancen. In jedem Fall möchte sie aber – „Ich liebe Berlin!“ – nach dem harten Assessment noch ein paar Urlaubstage dranhängen.