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Archiv-Artikel

Langfinger schaden Unternehmen

Kriminelle Mitarbeiter schädigen Unternehmen um Milliarden. Mehr Kontrollen und schärfere Strafen sind aber nicht das beste Mittel gegen Wirtschaftskriminalität. Fachleute raten, eine „Kultur des Vertrauens“ bringe Mitarbeiter dazu, ehrlich zu bleiben

„Unternehmen müssen null Toleranz gegen Unternehmens-kriminalität zeigen“

VON TARIK AHMIA

Fast jedes zweite Unternehmen in Deutschland ist von Wirtschaftskriminalität betroffen: Diebstahl, Betrug, Korruption und Geldwäsche kosten die Firmen jedes Jahr Milliarden – wie viel genau, ist unklar, denn die Dunkelziffer ist hoch.

Das ist das Ergebnis einer gestern von der Beratungsgesellschaft KPMG veröffentlichten Studie zur Wirtschaftskriminalität in Deutschland. Im Mittelpunkt der Befragung von 420 Führungskräften steht das kriminelle Verhalten von Mitarbeitern in der Privatwirtschaft. Andere Formen von Wirtschaftskriminalität wie Steuerhinterziehung oder Korruption in öffentlichen Institutionen werden nicht untersucht.

Die Studie zeigt, dass Betrug und Unterschlagung durch Mitarbeiter immer häufiger zum Alltag gehören. „Das Klauen eines Füllers im Büro zählen wir noch nicht dazu“, sagt der Kriminologe Professor Kai Bussmann von der Universität Halle-Wittenberg. Da muss es schon etwas mehr sein: durchschnittlich 3,4 Millionen Euro kostet Wirtschaftskriminalität einem betroffenen Unternehmen, ermittelte der Beratungskonzern PricewaterhouseCoopers. Der Schaden kann aber auch in die Milliarden gehen, wie 2001 beim Skandal um die Firma Flowtex oder beim Immobilienschwindler Jürgen Schneider, dessen Imperium 1994 mit 5,4 Milliarden Schulden zusammenbrach. Bei der alltäglichen Wirtschaftskriminalität machen klassische Vermögensschäden wie Diebstahl den größten Teil der Delikte aus (82 Prozent), gefolgt von Untreue (51 Prozent) und Betrug (40 Prozent). Große Unternehmen sind deutlich häufiger betroffen als kleinere Firmen: 55 Prozent der Unternehmen mit über 500 Millionen Euro Umsatz berichteten über entsprechende Vorfälle, während es bei Unternehmen unter 100 Millionen Euro Umsatz nur 19 Prozent waren. Das könnte an besseren Kontrollen in den großen Firmen liegen, auch wenn 59 Prozent der Taten durch Zufall entdeckt wurden. KPMG schätzt, dass auf jeden entdeckten Fall fünf unentdeckte kommen.

84 Prozent der von KPMG befragten Unternehmen glauben zwar, durch verbesserte interne Kontrollen des Betrugs in den eigenen Reihen Herr zu werden. Doch der Ansatz greift zu kurz, wenn man nur auf schärfere Regeln setzt, sagt Bussmann. „Ein Unternehmen ist kein Sicherheitsstaat wie die DDR.“ Absolute Sicherheit gebe es nicht.

Auch die Androhung drastischer Strafen hält Bussmann nicht für ein wirksames Gegenmittel. Stattdessen sollten Unternehmen eine „Kultur des Vertrauens“ entwickeln. „Dazu braucht ein Unternehmen einen klaren Verhaltenskodex und Schulungen für alle Mitarbeiter, die die Unternehmenswerte deutlich machen.“ Nur so könne das Bewusstsein der Mitarbeiter gegen kriminelles Verhalten gefestigt werden.

„Zur klaren Linie eines Unternehmens gehört es, null Toleranz gegen Unternehmenskriminalität zu zeigen“, sagt Peter von Blomberg von Transparency International. „Die Firmen müssen intern ständig Schwachstellen für kriminellen Missbrauch ermitteln und Verstöße auch öffentlich machen“, so Blomberg. Zu den Maßnahmen gehöre auch, Mitarbeitern Anlaufstellen anzubieten. Gute Erfahrungen hat damit die Deutsche Bahn gemacht. Sie bietet ihren Beschäftigten eine telefonische Hotline an, bei der Mitarbeiter Missstände anonym melden können. In den USA wurden solche Angebote für so genannte „Whistleblower“ nach dem Enron-Skandal für große Unternehmen gesetzlich vorgeschrieben. Blomberg weist aber auch auf die Begrenzungen der Studien hin. „Wir halten die Daten grundsätzlich für seriös. Dem steht auch nicht das kommerzielle Interesse von Beratungsgesellschaften entgegen.“ Diese Unternehmen böten ihre Dienste an, um Wirtschaftskriminalität in Unternehmen aufzuklären. Ein gutes Geschäft auch für KPMG, die mit ihren 94.000 Mitarbeiter weltweit zu den größten Beratungsunternehmen zählt.