: Ort gesellschaftlicher Disziplinierung
FILM UND GESCHICHTE Der Künstler Clemens von Wedemeyer beschreibt in seiner filmischen Installation „Muster“ die wechselhafte Historie des ehemaligen Klosters Breitenau
Das Benediktinerkloster Breitenau in der Nähe von Kassel am Zusammenfluss von Fulda und Eder wurde 1143 gegründet. 1874 wurde es nach einer schon bis zu diesem Zeitpunkt wechselhaften Geschichte in eine „Korrektionsanstalt“ für „arbeitsscheue“ Menschen umgewandelt. Das NS-Regime machte aus dem früheren Kloster eines der frühen Konzentrationslager, um Breitenau ab 1940 als „Arbeitserziehungslager“ zu nutzen, bis die Alliierten die Einrichtung 1945 befreiten. Und auch in der Bundesrepublik, als sich hier das Mädchenerziehungsheim Fuldatal befand, stand die Anlage in Breitenau im Zeichen gesellschaftlicher Disziplinierung – ein Umstand, der Ulrike Meinhof darauf aufmerksam machte, die mit ihrem Film „Bambule“ (1970, gemeinsam mit Eberhard Itzenplitz) eine Revolte in einem Mädchenheim modellhaft zeigen wollte.
Der Künstler Clemens von Wedemeyer ging auf die starke historische Signifikanz des Ortes Breitenau anlässlich der documenta 2012 in Kassel mit einer filmischen Arbeit ein, die den Titel „Muster“ trägt und in Kassel in einer Installation mit drei Screens gezeigt wurde, die umkreist werden mussten, um den Gang der Erzählung erschließen zu können. Schon damals hatte Wedemeyer ausdrücklich davon gesprochen, dass es auch eine Filmversion geben sollte, also eine Montage, in der die drei Erzählebenen, die auch drei historische Ebenen sind, linear zu einem abend- bzw. sendeplatzfüllenden Film verbunden werden sollten.
Diese Version von „Muster“ wird nun am 18. Januar im Arsenal gezeigt, gefolgt tags darauf von einem „Kinotag“, an dem Wedemeyer auch noch als Kurator fungiert: Er bekam im Rahmen des bereits längere Zeit laufenden Projekts „Living Archive“ die Gelegenheit, aus den Beständen des Arsenals eine Auswahl zu treffen und einen Sonntag lang beide Säle zu bespielen.
„Muster“ kann man als eine filmische Entsprechung zu den historischen Schichtungen an einem Ort wie Breitenau sehen. Wedemeyer nimmt in einer auch schon aus seinen früheren filmischen Arbeiten bekannten Weise elaborierter Plansequenzen drei Momente aus der Breitenauer Geschichte genauer in den Blick: das Eintreffen der Siegermächte im Jahr 1945, die Dreharbeiten zu „Bambule“ Ende der 60er sowie den Besuch einer Schulklasse in der Gedenkstätte in den Neunziger-Jahren. So entsteht ein dichtes Wechselspiel aus Vergegenwärtigung historischer Vorgänge und Überlagerung von politischen Motiven – das Emanzipationsinteresse der Generation von 1968 ist für die nächste Generation selbst schon historisch und muss aufgesucht werden.
Clemens von Wedemeyer stieß im Zuge seiner Recherchen zu „Muster“ auch auf das Regiebuch von Ulrike Meinhof zu ihrem Film „Bambule“, das er in einer Publikation der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.
Breitenau wird durch Wedemeyer zu einem „Erinnerungsort“ im doppelten Sinn: Er dokumentiert in seinem Film den Ort, allerdings in dem Sinn, dass er daraus ein Setting macht, in jenem ambivalenten Sinn, in dem klassische „period pictures“ über Ausstattungsrealismus zu einem Effekt des „so ist es gewesen“ kommen. Was aber so gewesen ist, das ist in der Bundesrepublik eine konstitutiv didaktische, wenn nicht sogar: disziplinierende Geschichtsdarstellung, deren Mechanismen Wedemeyer in „Muster“ zugleich freilegt und unterläuft.
Der folgende Kinotag hat zwei Motti: Im großen Saal des Arsenal heißt es „A Day’s Pleasure“, es beginnt mit einem Film von Charlie Chaplin, danach kommen Klassiker des experimentellen Films von Tscherkassky bis Snow, dazwischen läuft der Spielfilm „A Woman under the Influence“ von John Cassavates. Im kleinen Saal lautet das Motto „Behind the Screen“, auch hier dient Chaplin als programmatischer Auftakt, und hier mündet alles in Philippe Garrels großartig zwischen Spielfilm und Avantgardedokument schillerndem „Elle a passé tant d’heures sous les sunlights“, mit Musik und Inspiration von Nico. Pop ist auch für Wedemeyer ein Aktualisierungsmoment par excellence. BERT REBHANDL
■ „Muster“, 18. 1., 20 Uhr; Living Archive – Kinotag „A Day’s Pleasure/Behind the Screen“, 19. 1., ab 14 Uhr, Arsenal, Potsdamer Str. 2