: Kunst-Geschichte der Provokation
AUSSTELLUNGEN Für eine Weile mehr als die Summe der einzelnen Teile: Die Weserburg zeigt, was von Fluxus über Minimal Art bis Olaf Metzel einst und jetzt die Debatte erregte
Die aktuellen Ausstellungen der Weserburg | Museum für Moderne Kunst im Einzelnen:
■ Olaf Metzel: Noch Fragen? Bis 29. August
■ Double Rotation: Werke aus der Sammlung Lafrenz. Bis 11. September
■ Chronische Fluxitis: Sammlung Maria und Walter Schnepel. Bis 29. Mai 2011
■ Allen Ruppersberg: Künstlerbücher. Bis 24. Oktober
■ Uwe Bremer: Nackte Singularität. Bis 25. Juli
■ Heinz Gappmayr: Künstlerbücher und Grafiken. Bis 29. August
■ Clemente Padín: Word, Action and Risk. Bis 15. September mnz
VON JAN ZIER
Er will provozieren, gar keine Frage. Das ist halt sein Prinzip. Und es funktioniert auch, solange es irgendwo Menschen gibt, die den Bildhauer und Objektkünstler Olaf Metzel der Gewalt- oder Chaosverherrlichung bezichtigen, sich von ihm in religiösen Gefühlen verletzt fühlen, ihm gar den Tod wünschen.
Zum Beispiel weil er einen im Grunde zutiefst konventionellen Frauenakt aus Bronze aufpeppt, in dem er ihn in ein Kopftuch hüllt und „Turkish Delight“ benennt. Ein billiger Effekt, gewiss, der Polemik ist, auf den Skandal schielt, zugleich auf die ewigen Verkürzungen in der Debatte um Islam im Allgemeinen und Muslima im Besonderen verfällt. Aber eben auch als kritische Auseinandersetzung mit jenem Sujet oder gar der westlichen Kunsttradition der letzten Jahrhunderte ausgedeutet werden kann. Anderenorts ist die Figur von 2006 mehrfach beschädigt worden, gewann deshalb an Bedeutung. Inzwischen ist es ruhig um das Werk geworden. Auch in Bremen.
Und doch ist es eine der stärksten Arbeiten in Metzels aktueller Ausstellung in der Weserburg. Bei manchem, was er zuletzt schuf und ebenfalls zu sehen ist, setzt Metzel mehr auf die schiere Größe des Objekts denn auf die inhaltliche Prägnanz seiner gesellschaftspolitischen Fragestellung. In „Hartz IV wird fünf“ erliegt er schlicht der Poesie des Chaos. Wäre nicht der vielversprechende Titel, man könnte das Werk als banal abtun.
Metzel selbst spricht im Geist des Feuilletons gern mal von der „konstruktiven Zerstörungsmetapher“, doch hier überwiegt eher das schlicht Destruktive. Auch mit „Und dann noch das Wetter“ von 2010 vergibt er die Chance einer pointierteren Kritik der Medienwelt zugunsten einer raumfüllenden Installation. Monumentalität verkommt zum Selbstzweck. Bestenfalls ist sie implizite Kritik an zeitgenössischer Ausstellungspraxis.
Oder das Werk lebt von der Überhöhung des Trivialen. Um seiner Selbst willen. So wie jenes, was, ein Stockwerk weiter, unter dem Titel „Double Rotation“ aus der Sammlung Lafrenz präsentiert wird. Der Hamburger Apotheker und sein Sohn haben sich der Minimal Art und der Konzeptkunst verpflichtet. All jenem also, was vom minimalistischen Formalismus lebt und einst eine Provokation für viele Betrachter war. Was an sich nichts darstellen will. Was den Künstler, in sich gekehrt, abgeschieden von der Welt und dem, was in ihr passiert, ausschließlich sein eigenes Arbeitsmaterial befragen und ästhetisieren lässt. Also gibt es mehr oder minder monochrome Arbeiten in allerlei Variationen. Meist sind es möglichst makellose, strenge Wandgemälde, erhältlich ist das Werk aber auch als zwei Meter hohe Stele oder Schachbrett auf dem Boden. Stets kehren geometrische Formen wieder. In ihrer Reduktion auf das, was von den KünstlerInnen hier als „wesentlich“ empfunden wird, variiert sich meist eine gewisse Beliebigkeit.
Ketzerisch könnte man sagen: Ben Vautier hat diese Strömung schon 1977 und noch ein Stockwerk weiter, bereits umfassend kommentiert: „It‘s only decoration“ heißt sein Werk, dass genau diesen Schriftzug weiß auf schwarz abbildet. Es hängt in der Ausstellung „Chronische Fluxistis“, die sich – anders als der Titel es nahelegt – keineswegs nur auf jene Strömung der 60er und 70er Jahre beschränkt. Sondern auch eine Arbeit von 1991 geschickt einzubetten vermag, welche die mediale Inszenierung des damaligen Golfkrieges intelligent angreift. Einem Archiv ähnlich und chronologisch sortiert wird hier, dicht an dicht, eine Fülle an meist kleinteiligen Arbeiten präsentiert. In ihrer Verbindung aus Werk und Leben, ihrer politischen Ausrichtung zeigen sie sich Metzel durchaus verwandt. Und sind künstlerisch doch sehr konträr zu ihm. Zugleich ist diese Schau wahlweise eine kulturell-politische Erinnerungsarbeit oder ein Spiegel der Auseinandersetzungen in und mit der Kunst in jenen Tagen.
Die aktuellen Ausstellungen sind gerade in ihrer Zusammenschau mehr als die Summe der einzelnen Teile. Dadurch gewinnen sie einen besonderen Reiz. Einen, den vor allem ein Sammlermuseum haben kann.