: Der Griesaugust
NACHGEHAKT Was macht eigentlich Altbundespräsident Horst Köhler?
Horst Köhler scheint glücklich zu sein, so glücklich wie schon seit Jahren nicht mehr. Mit leuchtenden Augen löffelt der Altbundespräsident den Griesbrei, den ihm seine Frau serviert hat. „Es gibt nichts Besseres als einen guten Griesbrei“, erklärt Köhler zwischen zwei Bissen, „die einfachen Speisen, die schon unsere Vorfahren genährt haben, sind immer noch die besten. Auch wenn viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger Griesbrei für hoffnungslos veraltet halten – dem ist nicht so! Sicher, kaum eine andere Nahrungsmittelzubereitung löst quer durch alle Gesellschaftsschichten derart kontroverse Diskussionen aus. Für die einen ist Griesbrei eine Horrorvision aus frühen Kindheitstagen, für andere die Leibspeise schlechthin. Aber nennen Sie mir eine vielfältigere Speise – mit Zimt und Zucker, Apfelkompott oder einfach mit ein wenig zerlassener Butter – Griesbrei ist in jeder Zubereitungsart äußerst lecker!“ Hier muss Horst Köhler seine Rede unterbrechen, um einen weiteren Bissen zu nehmen. Und der Besucher stellt fest: So leidenschaftlich, so feurig hat man Köhler noch nie sprechen hören.
So ganz ohne Hintergedanken stimmt Köhler das Hohe Lied des Griesbreis dann allerdings doch nicht an – seit dem 1. Juli ist er offizieller Botschafter des Verbands deutscher Griesproduzenten. Damit setzt er die Reihe der Politiker fort, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt in die Wirtschaft wechseln: Gerhard Schröder zu Gazprom, Wissmann zur Autoindustrie, Roland Koch zu Beate Uhse. Und nun also Horst Köhler zur deutschen Grieswirtschaft. Ist er aber nur ein weiterer Griesengewinnler, einer, der für ein paar salbungsvolle Worte und wohlfeile Ratschläge ein sattes Salär bezieht? „Glauben Sie nur nicht“, nimmt er dem Berichterstatter mit vollem Mund den Wind aus den Segeln, „dass ich hier bloß den Griesaugust mache. Dazu ist das Thema Gries viel zu wichtig für die Zukunft unseres deutschen Vaterlandes.“ Und dann rattert der studierte Nationalökonom Köhler Fakten herunter, die staunen machen:
Die weltweiten Griesvorräte befinden sich auf einem historischen Tiefstand. Wenn der Grieshunger der Menschheit weiterhin anhält, droht spätestens am 12. November 2016 nachmittags der totale Zusammenbruch der Bestände. „Es werden einfach nicht genügend neue Griesvorkommen gefunden, um den enormen Bedarf zu decken, und die Förderung aus den bekannten Vorkommen wird immer schwieriger.“ Mittlerweile wird sogar schon im Schwarzwald nach Gries geschürft, was wiederum Umweltschützer und Ökoaktivisten auf die Barrikaden treibt.
Zu allem Unglück hatte ein schwerer Zwischenfall in der Griesaufbereitungsanlage Gundelsheim für die gesellschaftliche Akzeptanz der kritischen Masse ebenfalls verheerende Folgen. Durch den Ausfall eines Überdruckventils explodierte der Griesbrüter, und Griespartikel wurden kilometerweit in die Umgegend geschleudert. Nicht zuletzt dieser Störfall war es, der die Verantwortlichen der deutschen Grieswirtschaft veranlasste, einen Politprofi und Hochkaräter für die PR-Arbeit zu verpflichten. „Horst Köhler macht einen sehr guten Job“, meint Ewald Gausbühler, Vorstandsvorsitzender der Grisella-Werke im hessischen Griesheim, „durch seine Kontakte, durch seine Fähigkeit, die Menschen zu begeistern, können wir viel für unsere Sache bewirken.“
Und in der Tat, wenn man Horst Köhlers flammenden Appell zur militärischen Sicherung der gefährdeten Nachschublinien hört, wird eines klar – hier hat ein Mann sein Thema gefunden. Endlich muss Horst Köhler nicht mehr fremde Felder beackern, sondern darf sich ausschließlich um seine Herzensangelegenheit kümmern.
Lassen wir also den deutschen Griesbotschafter noch einmal selbst zu Wort kommen: „Das weiße Gold aus tiefen Töpfen verankert den modernen Menschen tief in archaischen Glückszuständen“, doziert Köhler vor einem farbenprächtigen Holzschnitt des Künstlers HAP Grieshaber, „insofern ist Griesbrei ein überaus wirksames Antidepressivum, das die Härten des Alltags mit seiner wärmenden Struktur und seiner molligen Konsistenz abzufedern vermag. Ich kann unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern nur raten, jeden Tag ein Schälchen Griesbrei zu sich zu nehmen!“ RÜDIGER KIND