: Der erzwungene Rücktritt
Premier Marcinkiewicz sprach ohne Erlaubnis von oben mit den Liberalen. Daher wird er auf den Posten des Warschauer Bürgermeisters abgeschoben
AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER
Nach dem Rücktritt von Premier Kazimierz Marcinkiewicz wird Polen nun von Zwillingen regiert. Neben dem Staatspräsidenten, Lech Kaczyński steht künftig als neuer Regierungschef sein Bruder Jaroslaw, Parteichef der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). „Es ist nur natürlich, dass der Vorsitzende der regierenden Partei auch Premier ist“, erklärte der 57-Jährige am Freitagabend. Die Partei brauche den populären Marcinkiewicz als Kandidaten für den Posten des Oberbürgermeisters von Warschau. Im November fänden Kommunalwahlen statt, die für die PiS sehr wichtig seien.
Zwar gebe es für den Posten des Premierministers noch andere geeignete Politiker in der PiS, doch der Parteirat habe sich für ihn entschieden, erklärte Jaroslaw Kaczyński: „Nach den Wahlen im Herbst 2005 gestaltete sich das anders, wie Sie wissen. Jetzt aber nehmen wir das Risiko auf uns. Denn es ist ein gewisses Risiko, wenn Premier und Präsident eines Landes Brüder sind.“
Der lange, schwarze Vorhang hinter Kaczyński und Marcinkiewicz ließ den plötzlichen Wechsel an der Spitze der polnischen Regierung wie eine Trauerfeier wirken. Doch Marcinkiewicz wirkte gefasst. Mit keinem Zucken auch nur eines Gesichtsmuskels ließ er sich anmerken, wie ihm nach der plötzlichen Degradierung vom Premierminister Polens zum Warschauer Oberbürgermeisterkandidaten zumute war. Freundlich lächelnd nickte er seinem bisherigen Förderer zu und erklärte tapfer: „Niemand wird einen Keil zwischen Jaroslaw Kaczyński und mich treiben.“
Dass der wahre Grund für den „erzwungenen Rücktritt“, wie ihn der Arbeiterheld und Expräsident Polens, Lech Wałesa nannte, keineswegs die im November anstehenden Kommunalwahlen sein konnten, war allen klar. Nur wollte dies niemand von der PiS offiziell zugeben. Ein erstes Signal, dass sich in Polens Regierungspartei etwas Ungutes zusammenbraute, gab Marcinkiewicz selbst. Nur wenige Stunden vor seinem geplanten Besuch in Kroatien sagte er den lang geplanten Termin ab.
Kurz darauf erklärte Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalen Bürgerplattform, dass Marcinkiewicz in einem Gespräch über zunehmende Spannungen zwischen ihm als Regierungschef und Parteichef Kaczyński geklagt habe. Zwar dementierte dies Marcinkiewicz sofort. Doch bei der Gelegenheit erfuhren die Polen auch, dass der dem liberalen Flügel der PiS zugerechnete Premier das Treffen mit Oppositionsführer Tusk offensichtlich weder mit Parteichef Kaczyński noch mit Andrzej Lepper oder Roman Giertych, den Parteichefs der beiden Koalitionsparteien Samoobrona und Liga der polnischen Familien, besprochen hatte.
Die Vermutung, dass Marcinkiewicz bei Tusk vorsichtig sondierte, ob mit den Liberalen doch noch eine Koalition geschmiedet werden könne, machte sofort die Runde. Der Premier hatte die von Jaroslaw Kaczyński eingefädelte Koalition mit der rechtsklerikalen LPR und der linkspopulistischen Samoobrona nur widerwillig akzeptiert.
„Das geht nicht“, protestierte Lepper dann auch prompt. „Marcinkiewicz kann sich nicht mit dem Oppositionsführer treffen und uns von dem geplanten Gespräch nicht informieren.“ Die Presse unkte: „Marcinkiewicz wird zu selbstständig!“
Wenige Tage zuvor hatte der Premier Finanzministerin Zyta Gilowska entlassen, auf die der Verdacht einer Zusammenarbeit mit der polnischen Stasi zu Zeiten der Volksrepublik gefallen war. Statt die Neubesetzung ausführlich mit der Partei zu beraten, hatte Marcinkiewicz schnell einen neuen Finanzminister ernannt – seinen bisherigen eigenen Finanzberater. Schon da soll es zwischen Kaczyński und Marcinkiewicz gekracht haben. Selbstständige Entscheidungen des früheren Provinzpolitikers aus Gorzow (Landsberg) an der Warthe schätzt der machtbewusste und auf unbedingte Loyalität pochende PiS-Chef gar nicht.
Unzufrieden war Kaczyński auch mit der, wie er meinte, „zu schwachen“ Reaktion der polnischen Regierung auf die Satire der taz über die beiden Kaczyński-Brüder vor gut zwei Wochen. Anders als von seinem Zwilling und wohl auch ihm selbst erwartet, hatte die Bundesregierung es abgelehnt, die Satire in der taz zu bedauern und den Kaczyński-Brüdern ihre Solidarität auszudrücken. Vielmehr verwies der Sprecher des Auswärtigen Amtes darauf, dass die Bundesregierung prinzipiell keine Stellung nehme zu Artikeln, die in der Presse über ausländische Politiker erschienen. Kaczyński will nun höchstpersönlich den Kampf aufnehmen gegen die „ständigen Attacken, der sich in letzter Zeit auch ausländische Tageszeitungen angeschlossen“ hätten. Vor kurzem hatte die Wochenzeitschrift Wprost gewarnt: „Es gibt eine Sphäre, in der Jaroslaw Kaczyński überhaupt keinen Spaß versteht: Jaroslaw Kaczyński.“