: „Ein dramatisches Tabu“
LESUNG Ein Hetero-Mann berichtet aus seinem zwei Jahre währenden Leben als Frau
■ 53, war früher Filmemacher. Er lebt und arbeitet heute als freier Autor in München.
taz: Herr Seidel, Sie haben zwei Jahre als Frau gelebt. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Christian Seidel: Die treibende Kraft war mein Groll über die bestehende Männerrolle, die ich selbst gelebt habe und die ich in der Gesellschaft wahrgenommen habe. Für mich ist das aber nicht nur eine Aktion oder ein Projekt.
Es hatte aber keinen transidentitären Hintergrund?
Nein, ich bin weder transsexuell oder schwul noch ist es ein Fetisch. Umso mehr war mein Leben als Frau ein dramatisches Tabu in der Gesellschaft. Aber diese Schubladen werden meines Erachtens vollkommen überinterpretiert.
Aber zementieren Sie mit Ihrem Experiment die bestehenden bipolaren Geschlechtergrenzen nicht gerade?
Gute Frage. Wenn man es clownesk angeht, so wie Mario Barth, dann schon. Für mich war das aber ein Selbsterfahrungsexperiment. Die Welt ist voll von Geschlechtertheoretikern, aber was heißt das wirklich: Die Weiblichkeit im Mann? Wir müssen bei den Klischees anfangen, dürfen dabei aber nicht aufhören. Männer schließen so das Weibliche in ihrem Rollenbild meist total aus. Dabei sollten die Männer erkennen, das ein gehöriger weiblicher Anteil in ihnen schlummert. Sie sollten die weibliche Rolle in ihnen mehr annehmen, sich darauf besinnen. Dann würden sie vielleicht auch vollständiger werden und die Geschlechter könnten mehr auf Augenhöhe miteinander leben.
Wie hat Ihre Umwelt auf Ihr Leben als Frau reagiert?
Manche meiner männlichen Freunde haben sich nicht mehr bei mir gemeldet und dann irgendwann gefragt: Bist jetzt fertig mit dem Schmarr’n? Da war die Reaktion teilweise sogar beleidigend, abwertend und ausgrenzend. Die Frauen haben positiver reagiert, konstruktiver. Meine Ehefrau war anfangs befremdet: Ich hab doch einen Mann geheiratet, keine Frau, sagte sie. Aber alle haben sich völlig anders verhalten, nur weil ich als Frau aufgetreten bin. Das hat schwerwiegende Irritationen ausgelöst. Das ging soweit, dass mir von der Bank beinahe der Kredit gekündigt worden wäre. Die negativen Reaktionen kamen dabei vor allem aus der Mitte der Gesellschaft, von dort wurde ich verbal, aber auch körperlich angegangen.
Würden Sie das Experiment noch mal machen?
Ja. Das war die bereicherndste Erfahrung meines Lebens. Das öffnet die Augen, man lernt sehr viel dazu. INTERVIEW: JAN ZIER
Buchpremiere: „Die Frau in mir – Ein Mann wagt ein Experiment“: 18 Uhr, Gerhard-Marcks-Haus, Am Wall 208