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Archiv-Artikel

Ein neuer „Dritter Ort“

KUNST Ein Beitrag zur ungelösten Leib-Seele-Problematik mit Kunst und Kochen: der Laden „Essen und Trinken im Museum“ in Prenzlauer Berg. Bis Ende Februar ist die Gruppenausstellung „Bremer Schule“ zu sehen

Im kleinsten Stadtstaat macht sich ein wahrer „Brain Drain“ bemerkbar

VON HELMUT HÖGE

Für den Soziologen Ray Oldenburg sind „Dritte Orte“ neben dem Arbeits- und Wohnort die „guten alten Plätze“. Das „Museum“ des Binnenschiffers und Buchdruckers „Dotti“ ist zwar ein „neuer Platz“, er gehört aber noch zur „guten alten“ Prenzlauer-Berg-Boheme, zu ihren Treffpunkten (bzw. Auftrittsorten: Lokal, Rumbalotte, Staatsgalerie etc.) und Überzeugungen – zusammengefasst: „Analog ist besser“.

Dotti hatte „kein Konzept“, als er den Laden im vornehm gewordenen Bötzowviertel übernahm: „Wir haben Fotos reingehängt, damit war das Wandproblem gelöst – und einen Cafébetrieb eröffnet.“ Nun ist es jedoch ein Platz für Ausstellungen nebst Verwandtem – und es wird gekocht. Deswegen heißt die Existenzgründung „Essen und Trinken im Museum“.

Derzeit hängen die Wände voll mit Bildern der „Bremer Schule“. So genannt nach der Bremer Kunststudentenkneipe „Zur Schule“, dem einstigen „Hauptquartier der 34 heute in Berlin wohnenden Künstler. Einer lebt nicht mehr: Norbert Schwontkowski, genannt „Kreti“. Er ist trotzdem mit einer Lithografie im „Museum“ vertreten, das einen halben Mann mit rauchendem Colt zeigt. Zudem ist ihm, dem Berühmtesten, der am meisten „Geld“ mit seiner Kunst verdiente, mit dem Objekt von Andree Korpys und Markus Löffler quasi die Ausstellung gewidmet: ein Fläschchen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit und der Aufschrift „Geist“.

Kretis Leichtigkeit findet man aber auch in den Werken der anderen „Bremer“ wieder. Zur Eröffnung hatte der Anarchodichter Ost, Bert Papenfuß, der ebenfalls von der Küste kommt, für die 33 lebenden Künstler und ihren nicht bremischen Anhang Labskaus gekocht. Den Kunstwerken haftete ansonsten nichts Bremisches an, was im Übrigen zunehmend auch für Bremen selbst gilt. Das wurde bereits mit den Liedern auf der LP „Bremen“ von Wigald Boning angedeutet, die Museumsdirektor Dotti auflegte. Am ehesten kam die Künstlerin Karen Holtermann dem „Fading Away“ der Hafenstadt nahe – mit ihrem Video „Transport“, darauf endlose Reihen von Containern aus China und Korea.

Am besten gefiel mir ein kleiner Stich von Michael Lapuks: „Schwarzer Esel en face“ – auf Zink, aber auch das Ehepaar auf einer Parkbank, das einem Krähenschwarm nachsinnt – von Thomas Hartmann da hingetuscht. Eher lustig: die Gruppe saufender und kotzender nackter Frauen – eine Federzeichnung von Veronika Schumacher. Gabriele Konsor, von der ich nie gedacht hätte, dass sie auch eine Bremerin ist, hatte ebenfalls eine Zeichnung fürs „Museum“ übrig: Eine Art „Schschttt“ nach oben – wo dann „Bin reiten“ steht. Vielleicht hatte sie einst ein Ponyhof-Abo. Mir erzählte sie nur, dass sie eigentlich eher selten in der Kneipe „Zur Schule“ gewesen sei.

Als Berliner Gruppe „Bremer Schule“ nun, hier und jetzt, buken sie für die Ausstellung vor allem kleine bis ganz kleine Brötchen – Formate: bestehend aus Basteleien, Klebereien, Fotos (übereinander) und Tusche auf Pappe oder Papier. Nur drei der Maler waren mit „Öl auf Leinwand“ vertreten, und nur eine, Monika Ratering, mit einem „Objekt“: einer tablettgroßen Sandwüste, darauf fünf kleine Modellmännchen – Typ: Ingenieur. Sie stehen an einer Erdspalte, die sich plötzlich aufgetan hat und wohl für Ärger und Unkosten sorgen wird: Von zwei schwarzgelben Warnpollern ist einer bereits weggesackt. Man sieht den winzigen Experten geradezu an, dass sie darüber nachdenken, was für ein „Projekt“ daraus folgen könnte, müsste, sollte.

Es ist durchaus mutig, dass sich die 34 Künstler ausgerechnet „Bremer Schule“ nennen

Ähnlich stellt sich die Situation in Bremen dar, wo das Projektstudium an der von „68ern“ gegründeten „Roten Universität“ sich zu einem Elite-Campus wandelte, um nun laufend neue „Küstendenker“ hervorzubringen. Die emeritierte Wirtschaftswissenschaftlerin Heide Gerstenberger dürfte unterdes die letzte ernsthafte gewesen sein. „Etwas Besseres als Bremen findest du überall“, hieß es bereits in einem Stück der Bremer Performancegruppe „Bodytalk“ über die Hansestadt. So macht sich im kleinsten Stadtstaat mit seinen von Auswanderern aus dem „Hessengrund“ stammenden „Stadtmusikanten“ ein wahrer „Brain Drain“ bemerkbar.

Die Werke der Bremer Schule verdeutlichen das noch einmal. Ein Foto, von Michael Jungblut, weist allerdings auch auf die diesem Prozess innewohnende Dystopie (derzeit ein Modewort ähnlich wie generieren) hin. Es zeigt drei wie tot daliegende Männer (Künstler?) im Gleimtunnel. Alles sieht danach aus, als hätten sie den Verdrängungswettbewerb „Abwärts“ (so der neue Titel der Basisdruck-Zeitschrift Gegner“) – von Prenzlauer Berg in den Wedding – nicht geschafft. Dabei fehlten ihnen nur noch einige wenige Meter.

Es ist also durchaus mutig – mindestens ironisch, dass sich die 34 Künstler ausgerechnet „Bremer Schule“ nennen. Ihre Ausstellung in den Räumen von „Essen und Trinken im Museum“ ist noch bis Ende Februar zu sehen. Danach folgt eine Ausstellung über Flugzeug-, Raketen- und Raumschifftechnik mit Musik (von Tarwater). „Alle Veranstaltungen sind immer mit Essen verbunden“, so Dotti, der damit einen Beitrag zur ungelösten „Leib-Seele-Problematik“ leisten will – wenn ich ihn richtig verstanden habe.