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Nachwuchs gesucht

In München präsentierte sich eine Woche lang die Wissenschaft einer interessierten Öffentlichkeit. Auf Veranstaltungen und in Experimentierräumen wurde Besuchern, vor allem auch Jugendlichen, ein Einblick in den Wissenschaftsbetrieb geboten

„Ich glaube eher nicht, das ist wohl zu viel Stress“

AUS MÜNCHEN MAX HÄGLER

Die Deutschen, und sie nicht allein, besitzen die Gabe, die Wissenschaften unzugänglich zu machen. So beschrieb schon Johann Wolfgang von Goethe das schwierige Verhältnis zwischen den Menschen und den Forschern. Zwei Jahrhunderte später ist Deutschland Exportweltmeister, vor allem bei Ingenieursgütern, aber immer noch lautet die verschreckte Antwort vieler Kinder und Eltern, wenn es um Chemie, Biologie oder Physik geht: „Versteh ich nicht, ist zu kompliziert.“ Es könnte sein, dass sich diese Haltung ändert, trotz Goethes historischer Resignation – zumindest ließen die letzten Tagen in München hoffen. Beim größten europäischen Wissenschaftskongress, dem Euroscience Open Forum (Esof), trafen im Deutschen Museum 2.100 entspannte Teilnehmer aus 58 Ländern aufeinander – unter ihnen rund 500 Journalisten. Und auch die Laien bekamen beim zeitgleich stattfindenden Wissenschaftssommer Einblicke in die aktuelle Forschung.

Wenn die Forscher weiter auf Mystik und Mythos beharren, bleibt der Nachwuchs und werden die Debatten – etwa bei der Gentechnik – immer schwieriger. Das scheint inzwischen auch der Wissenschaftsbetrieb begriffen zu haben. Die Organisatoren des Wissenschaftssommers haben jedenfalls einigermaßen doppeldeutig „Keine Panik“ mit Wasserfarbe auf einen handgemachten Torbogen gepinselt, der im Alten Münchner Rathaus aufgebaut ist. Die Wissenschaftler sollen wohl ihre Scheu vor den neugierigen Fragen ablegen. Und die Kinder und Jugendlichen – Hauptzielgruppe des Wissenschaftssommers – sollen gar nicht erst glauben, dass sie bei den Dutzenden Ständen von Formeln erschlagen werden.

Hinter dem Papptor tun sich Welten auf, vier an der Zahl, geordnet in Kultur, Leben, Materie und Information – in denen Wissenschaftler ohne Unterlass gemeinsam mit den Besuchern experimentieren. Der Nutzen und das Grundprinzip von Foroxiden etwa wird anhand von Energiesparlampen erklärt. „Das ist viel besser als Schule“, urteilt der 13-jährige Lukas aus Bottrop. Zufällig ist er mit seiner Mutter in diese Veranstaltung gestolpert – und will gar nicht mehr raus. „Das macht Spaß hier, man kann selbst ausprobieren.“ Zum Beispiel, wie das Internet funktioniert. Mit einem druckluftbetriebenen Rohrpost-System, Holzbrücken und Fischernetzen hat die RWTH Aachen das Funktionsprinzip des World Wide Web nachgestellt. Lukas hat mit seinem Team gewonnen und das Informationspaket, die Rohrpost, am schnellsten vom Sender zum Empfänger transportiert. Doch ob er später einmal Wissenschaftler wird, bezweifelt er: „Ich glaube eher nicht, das ist wohl zu viel Stress.“

Ein paar hundert Meter entfernt im Marienhof geht die Tour des Wissens weiter, von der Radioaktivität kommt der GSF-Experte auf Strahlenkrankheiten zu sprechen – und schon ist man bei der ganz praktischen Anwendung stochastischer Mathematik, die die beiden Gymnasiasten augenscheinlich bislang eher nicht mochten, jetzt aber doch ganz spannend finden. Gegenüber hat die Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt, Fachabteilung Raketenantriebe, ihre Experimente aufgebaut – und Bernhard Heislbetz ist nach fünf Tagen Wissenschaftssommer schon völlig erschöpft. „Am Samstag hätten wir die Türen die ganze Nacht auflassen können, so viel Andrang war. Das Konzept, neueste Experimente auf Schüler und Studenten runterzustrukturieren, scheint aufzugehen, obwohl wir unsere Wasserstoffrakete nicht starten dürfen.“

Beim Esof geht es theoretischer zu. Für Experimentierspaß sorgen allein die Versuchsanordnungen des Deutschen Museums. Ansonsten wird in 70 Einzelveranstaltungen debattiert und diskutiert – über Terrorismus und internationale Sicherheit, demografische und biologische Alterung sowie über Ethikfragen zur Hirnforschung. Beinahe alle Wissenschaften sind vertreten, auch wenn einige Disziplinen zu kurz kommen.

„Es ist an sich eine gute Veranstaltung, aber die Gewichtung liegt allzu sehr auf den Naturwissenschaften, der versprochene Austausch mit anderen Bereichen wie den Sozialwissenschaften kommt zu wenig zustande“, beklagt etwa die Anthropologin Virtudes Téllez Delgado vom Spanish Council of Research.

Kein Problem für Kai-Anders Sempler, Redakteur der schwedischen Fachzeitung NyTeknik und Esof-Mentor für junge Wissenschaftsjournalisten. „Das Hauptziel von ESOF sind nicht so sehr die tief gehenden, fachspezifischen Veranstaltungen, sondern der Überblick, die Kontakte, das Miteinanderreden und die Themenfindung.“

Zumindest für die 500 Wissenschaftsjournalisten trifft zu, was Sempler mit dem Bier in der Hand meint: „Ich habe interessante Panels gehört, aber ich mag auch diesen Science-Biergarten mit den vielen verschiedenen Leuten, die sich hier treffen – das ist doch der eigentliche Sinn des Lebens.“ Viele der geplanten Exkursionen für Journalisten – etwa ins Zentrum für Tumorforschung – wurden abgesagt, ausgebucht war dagegen die „Bavarian Beer Tour“. Auch bei der Science Community ist eben der Sommer angekommen.

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