: In der Flosse des tauchenden Wals
SPORT Die Alsterschwimmhalle ist Hamburgs einziges Hallenbad mit einer 50-Meter-Bahn. Hier geht es mal um Sport und nicht um Wellness. Eine kleine Hommage
VON ILKA KREUTZTRÄGER
Das Becken ist tiefblau, irgendwo da unten ist der geflieste Boden und die Bahn ist nicht nach sieben Kraulzügen zu Ende. Hält man in der Mitte des Beckens an und lässt sich bäuchlings treiben, fühlt es sich fast an, als schaukele man auf dem Meer.
Naja, jedenfalls dann, wenn man die anderen Hamburger Schwimmbäder der Stadt kennt. Denn dieses kleine Gefühl von Freiheit können die nicht hervorrufen. Nicht nur, weil die Alsterschwimmhalle das einzige Hallenbad der Stadt mit einem 50-Meter-Becken ist. Sie hat vor allem ein richtig tiefes Becken. Bis auf fünf Meter geht es runter. In vielen anderen Bädern kann man jederzeit die Füße auf den Boden sinken lassen und sich hinstellen. Wenn man regelmäßig in diesen flachen Becken geschwommen ist, sich dann wieder ins Becken der Alsterschwimmhalle gleiten lässt und nach unten schaut, bekommt man glatt kurz Bauchkribbeln. Als trete man an den Rand einer Schlucht und blicke hinunter.
Die Alsterschwimmhalle ist eine Hamburger Institution, man kann schon mal die Schauspieler des Großstadtreviers beim Drehen auf dem Parkplatz treffen. Franziska van Almsick ist hier bei den Deutschen Meisterschaften 1998 vom Startblock gesprungen. Mike Krüger hat während seiner Lehre als Betonbauer auf der Baustelle gearbeitet. Im vergangenen Oktober fand hier das Auftaktspiel der Wasserball World League statt.
Die Hamburger mögen diesen eleganten Koloss, den jeder passiert, der mit dem Auto über die Elbbrücken kommend in Richtung Alster fährt. Als vor zehn Jahren die Besucher ausblieben, wurde laut über eine Schließung diskutiert. Aber die Hamburger protestierten, wollten das Schwimmbad behalten. 2007 wurde es dann für rund eine Million Euro saniert. Seitdem konnten die Erlöse laut Betreiber Bäderland deutlich gesteigert werden: 2013 kamen 383.000 Besucher in die Alsterschwimmhalle, 13.000 mehr als 2010. Ein Verlustgeschäft bleibt es trotzdem, die Stadt schießt Geld dazu.
Draußen am Eingang hängt ein riesiges Plakat, auf dem „Quäl Dich“ steht: In der Alsterschwimmhalle wird seit der Sanierung nicht mehr gebadet, hier wird Sport getrieben. 44 Schulklassen nutzen die Halle, der Aqua-Fitnessclub hat rund 1.000 Mitglieder. Vom Fitnessstudio mit Glasfassade blickt man vom Stepper direkt auf das Schwimmbecken hinunter. Wo vorher am Kopfende der 50-Meter-Bahn das Nichtschwimmerbecken war, sind nun zwei 1,10 Meter flache Becken für Kinder und für Fitnesskurse. Hanteln liegen in einem großen Gitterkorb und in einer Ecke steht ein Haufen Räder für Aqua-Cycling-Kurse hinter einem Absperrband. So als müsste man die Geräte davon abhalten, von allein ins Becken zu springen.
Auf den zehn Bahnen samt nummerierter Startblöcke wird stoisch hin- und hergeschwommen. „Öffentlichkeit“, „Öffentlichkeit Tempo“, „Öffentlichkeit Rücken“ oder „Reserviert“ steht auf Schildern an den Bahnen. Hier schwimmt man nicht irgendwie, hier trödelt niemand quer durchs Becken, keiner kreischt und die leisen Unterhaltungen hier und da verlieren sich in der riesigen Halle. Krault man hier seine Bahnen, fällt der Blick abwechselnd auf die 250 Menschen fassende Tribüne hoch oben und auf die große Anzeigetafel für Wettkämpfe gegenüber. Es fällt leicht, sich vorzustellen, wie die Atmosphäre bei ausverkauftem Haus sein würde, wie sich die Stimmen der Zuschauer in der riesigen Halle verfangen.
Schon die äußere Form des Gebäudes deutet auf die Funktion hin. Die Dachkonstruktion besteht aus einer 96 Meter langen und 64 Meter breiten Stahlbetonschale, die auf nur drei Punkten ruht. Von der großen Wiese aus erinnert das Gebäude an einen Delphinschwimmer. Delphin ist die Königsdisziplin, kein anderer Schwimmstil ist anspruchsvoller. Von der anderen Seite erinnert das Gebäude an die riesige Flosse eines abtauchenden Wals. 16 Stufen führen hinauf zum Haupteingang unterhalb der Flosse, und mit jedem Schritt nach oben wird der typische Schwimmbadgeruch nach Chlor, feuchten Handtüchern und geföhnten Haaren stärker.
Von der Idee bis zur Eröffnung der Alsterschwimmhalle dauerte es 17 Jahre. 1956 wurde bekannt, dass das 1943 von alliierten Bombern zerstörte Hallenbad am Berliner Tor durch einen Neubau ersetzt werden sollte. 1968 begannen die Hamburger Wasserwerke als Bauherr mit den Bauarbeiten, und als die Alsterschwimmhalle am 19. Januar 1973 eingeweiht wurde, hatte das Projekt statt der veranschlagten 25 Millionen Mark 36 Millionen Mark gekostet. Das Hamburger Abendblatt nannte die neue Schwimmhalle mit dem 50 x 25 Meter Becken und dem Zehn-Meter-Sprungturm, der sich hoch über dem Becken unter die Flossendecke schmiegt, ein „Juwel aus Glas, Stahl und Beton“.
Und irgendwie stimmt das noch immer. Die Farbgebung der Umkleiden und Duschen (Rosa und Lila für Frauen, Blau für Männer) ist recht weit weg von den Unisex-Varianten neuer Bäder (rote Wände und dunkelgraue Bodenfliesen). Da macht es auch nichts, wenn in der Dusche hier und da Farbe an der Decke abgeplatzt ist.