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Archiv-Artikel

Gegenwind für Traditionsschiffe

OSTSEE Segeln lernen auf einem alten Schiff ist spannend und erholsam. Doch historische Kähne dürfen in Dänemark meist nicht mehr anlanden. Und auch deutsche Bürokraten verlangen schwer zu erfüllende Sicherheitsstandards

Die große Schiffsparade

■ Vom 5. bis 8. August 2010 findet in der Hansestadt Rostock die 20. Hanse Sail mit über 250 großenteils historischen Schiffen statt. Auch die „Sigandor“ wird dort zu sehen sein.Infos: www.hansesail.com

VON HEIKE AGHTE

Yiiiieh!“ – die erste Arschbombe landet fernab der Küste in der Ostsee. Fast alle an Bord der „Sigandor“ folgen, die meisten ziehen jedoch die Strickleiter vor. Unsere Crew besteht aus 18 Leuten – neben der zweiköpfigen Besatzung sind es alles UrlauberInnen, die für eine Woche zum Segelnlernen in der dänischen Südsee aufgebrochen sind. Jetzt aber dümpelt das über hundert Jahre alte Traditionsschiff vor der Bucht von Eckernförde in der Flaute. Für uns Landratten überraschend macht die Galeasse dennoch 1,4 Knoten (2,5 km/h) Fahrt, und wir spüren, dass wir kräftig strampeln müssen, um mitzuschwimmen. Gut, dass ein Seil mit Rettungsring neben dem schwarzen Bootsrumpf treibt.

Später kommt wieder Wind auf: schon 6 Knoten! „Ist die Fock kaputt?“, ruft Kapitän Rieke Boomgaarden lachend, und zwei Frauen klettern ins Vordernetz und packen auch das vierte Segel aus. „Backbordschot fieren“ lautet seine Anweisung kurz danach – nach drei Tagen wissen alle, dass das „Leine lockern“ bedeutet. 400 qm schön geblähte Segelfläche sind jetzt über uns.

Am liebsten würden wir jetzt gleich bis Dänemark durchsegeln. Das aber geht auf keinen Fall, erklärt Boomgaarden. Wir müssen unseren Törn auf den deutschen Teil der Ostsee beschränken, weil wir sonst riskieren, festgesetzt zu werden. Zwei deutschen Traditionsschiffen ist das in diesem Sommer schon passiert. Wir sind erstaunt und empört: Befinden wir uns nicht in der freizügigen EU?

Seit etwa vier Jahren ist es für historische Kähne zunehmend riskant geworden, dänische Häfen anzulaufen. Die dortigen Seefahrtsbehörden verlangen den Nachweis internationaler Sicherheitsstandards; die aber sind für neu gebaute Schiffe ausgelegt und können von den traditionellen Seglern nicht erfüllt werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein altes Boot mit viel Holz keinen hochmodernen Brandschutz bieten kann. Für Traditionsschiffe gibt es jedoch maßgeschneiderte Konzepte, und viele Länder – darunter Deutschland – haben entsprechend angepasste Vorschriften aufgestellt. Dänemark aber erkennt diese Regelungen nicht mehr an.

Für uns ist das ärgerlich, aber nicht wirklich wichtig; schließlich müssen wir keine bestimmten Häfen erreichen, und diese Woche herrscht sowieso selten mehr als Windstärke 3. Anders sieht das für die Schiffsführer aus. Deren Aktionsradius hat sich de facto mehr als halbiert – eine prekäre Situation für alle, die mehrtägige Törns anbieten. Dabei ist der Ärger mit dem Nachbarn im Norden nur eins von mehreren existenzgefährdenden Problemen.

Als wir am nächsten Tag miterleben, wie unser Kapitän sein 35-Meter-Schiff mithilfe einiger Taue trickreich in eine enge Hafenlücke bugsiert, erzählt er beiläufig: „So um die 20.000 Euro pro Jahr müssen allein für das Takelwerk und dessen Instandhaltung kalkuliert werden.“

Und nicht nur Seile und Taue sind regelmäßig zu erneuern; auch der Metallrumpf und die Bordplanken müssen geflickt und imprägniert werden.

Keine billige Angelegenheit – doch nach deutschem Recht darf auf Traditionsschiffen kein gewerblicher Betrieb stattfinden. Deshalb haben hierzulande bereits mehrere Schiffseigner kein neues Schiffssicherheitszeugnis mehr erhalten. Hinzu kommt, dass die Behörden bei der Definition von „historischen Schiffen“ inzwischen sehr willkürlich verfahren und für einige Kähne die Ausnahmeregelungen plötzlich nicht mehr akzeptiert wurden.

„Das sind keine Einzelfälle“, sagt der Kapitän. Er fürchtet, dass ein Großteil des vielgelobten „maritimen Erbes“ nach und nach in die Illegalität gedrängt wird oder gar ganz aus der Ostsee verschwindet. Beklommen fragen wir uns, warum unser Kapitän das alles auf sich nimmt.

Die Weite des Himmels, das Wiegen des Schiffs machen uns ruhig und dösig; der Wind entscheidet, wohin es geht. In der vorletzten Nacht bleiben wir 200 Meter vor der Küste, der Anker liegt 30 Meter unter uns.

Abwechselnd halten wir Wache: Sollte der Wind drehen oder die Ankerleuchte erlöschen, müssen wir Alarm schlagen. Doch nichts geschieht – der Sternenhimmel und der Sonnenaufgang entschädigen für jede Müdigkeit. Wehmütig gehen wir tags darauf von Bord. Die „Sigandor“ läuft in wenigen Stunden wieder aus – diesmal an Bord eine Crew diabeteskranker Kinder.