: In Wellen an den Rändern
Die Hippie-Tante und ihre beachtliche Kunst: Mit der großen Ausstellung „Win first don’t last. Win last don’t care“ nimmt in der Kunsthalle Basel die Wiederentdeckung der 1999 gestorbenen amerikanischen Künstlerin Lee Lozano ihren Anfang
VON ESTHER BUSS
Ende der Sechzigerjahre schrieb Lee Lozano in eines ihrer zahlreichen Notizbücher: „Seek the extremes. That’s where all the action is.“ Dieser Aufforderung zur unbedingten Radikalität folgte sie 1971, zwei Jahre später, mit ihrem Ausstieg aus der Kunstwelt, den sie mit dem Titel „Dropout Piece“ angekündigt hatte. In einem nahezu gleichzeitig gefassten Entschluss boykottierte Lozano jedoch eine weitaus größere Gruppe. Nach einem Frauentreffen im Rahmen der Art Workers Coalition, das bei ihr große Unzufriedenheit und Langeweile ausgelöst hatte, entschied Lozano, fortan nicht mehr mit Frauen zu sprechen. Was zunächst als zeitlich begrenztes Experiment angelegt war und paradoxerweise zu einer Verbesserung ihrer Beziehung zu Frauen führen sollte, praktizierte die amerikanische Künstlerin schließlich bis zu ihrem Tod 1999. Lozanos extreme Entscheidung ist in ihrer Ambivalenz zwischen selbstzerstörerischer Performance, sturem Konzeptualismus, krassem Feminismus oder auch Antifeminismus kompliziert und schwer zu deuten. Die aggressive Demonstration von Ausschluss rückte jedenfalls Geschlecht als Kategorie ständiger Bewertung auf beispiellose Art und Weise in den Mittelpunkt.
Lozano war in den Sechziger- und Siebzigerjahren eine zentrale Figur der Konzeptkunstszene, die sich in New York formierte, und in der sich Künstler wie Robert Morris und Dan Graham bewegten. Sie hatte einige Ausstellungen und wurde von einer Galerie vertreten, die ihre Arbeiten verkaufte. Mit anderen Worten: Sie war „dabei“, bevor sie sich aus der Kunstöffentlichkeit zurückzog und sich ihre Spuren irgendwo in Dallas verlieren. In der Kunstgeschichtsschreibung tauchte Lozanos Name lange Zeit so gut wie gar nicht auf, erst Ende der Neunzigerjahre wurde ihr Werk wiederentdeckt. Auch ein wenig ambitionierter Museumsbetrieb forschte dem Verbleib ihres Werks nie nach. Nun wird ihr Nachlass von der Großgalerie Hauser & Wirth vertreten. Bisher waren ihre Arbeiten vor allem in Amerika zu sehen. Inzwischen sind sie auch in Europa angekommen.
Dass ausgerechnet die Institution, die Lozanos zunehmendem Wunsch nach einer entmaterialisierten Kunst am stärksten widerspricht, nämlich das Museum, ihr heute zu neuer Sichtbarkeit verhilft, ist eine der vielen Absurditäten, denen man in ihrem Werk begegnet. Die umfangreiche Ausstellung in der Kunsthalle Basel präsentiert in dennoch kompakter Form eine etwa zehn Jahre andauernde Phase intensiver künstlerischer Produktion.
Lozano hielt sich vorwiegend an den Rändern verschiedenster Richtungen und Stile auf. Auch wenn sich eine sehr konsequente und logische Entwicklung von der Figuration zur Abstraktion (Postminimal) und weiter zur Konzeptkunst nachvollziehen lässt, verfolgte sie eher deren Verformungen und Vermischungen als einen strengen Purismus. Zudem finden sich zeitspezifische Interessen, die durch die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche von 68 geprägt sind: ein hippiesker Hang zu Selbstexperimenten, Drogen, sexueller Befreiung sowie eine grundsätzliche Offenheit für Widerstand und antiinstitutionelle Praktiken.
Die frühen cartoonartigen Zeichnungen sind ein wüstes Durcheinander von fragmentierten Körperteilen und -öffnungen sowie verschiedensten industriellen Gegenständen. Münder, Genitalien, Schrauben und Messer, ein Toaster oder ein Staubsauger prallen da aufeinander und verbinden sich zu derben Mensch-Maschinen-Gebilden. Oft sind die sexuellen Anspielungen penetrant, dabei aber so seltsam kombiniert, dass sie wirklich beunruhigen: Eine Axt steckt wie eine Zigarre in einem fies grinsenden Mund, oder eine Zange macht sich im Schritt einer Hose zu schaffen. Lozano bringt hier die kindliche Sexualität oraler, analer und phallischer Triebe ins Spiel; bedient aber weniger regressive Bedürfnisse, als dass sie vielmehr gezielt Chaos und Unordnung stiften will. Teilweise kommentieren vulgäre Texte das aggressiv und im wilden Gestus Hingeschleuderte auf lustig-rotzige Weise. In der von Lozano als „Subway Series“ bezeichnete Serie werden Werbebotschaften, wie sie in der New Yorker U-Bahn zu finden sind, einer zotigen Revision unterzogen: „I got my Blow Job through the NY Times.“
Weniger chaotisch und viel distanzierter sind die großformatigeren „Tool Paintings“, die sich auf einen Gegenstand konzentrieren. Etwa ein klotziger Hammer oder ein Hybrid aus verschiedenen Gerätschaften, eine Pistole, aus ihrem Lauf kommen ein Schwanz und eine plumpe Hand hervor. Die straighte Welt der Maschinen und Waffen wird hier durch das Eindringen perverser Fantasien umgestülpt und regelrecht entmachtet. Später werden die Bilder reduzierter, ausschnitthafter und formaler, auch unmalerischer, ungestischer, ein individueller Pinselstrich ist kaum noch auszumachen. Wie unnahbare und melancholische Wesen wirken diese sonderbaren Werkzeugteile, dabei handelt es sich doch bloß um ein aus der Art geschlagenes Gewindeteil oder eine surreale Schraube. Es sind düstere Bilder, in metallenen Unfarben gemalt. Zunehmend wendete sich Lozano jedoch abstrakten Formen zu, die sie mit differenzierten Lichteffekten ausstattet: Kegel, Schäfte und Zylinder – die erotische Metaphorik setzt sich auch hier fort.
Lozanos Interesse für selbst aufgestellte Regeln und Versuchsanordnungen stellte den Ausgangspunkt für die karge Bilderserie „Wave Series“ dar. Wie in der historischen Ausstellung 1970 im Whitney Museum hängen sie an schwarz gestrichenen Wänden, das hat etwas Sakrales, man sieht sich fast an Altarbilder erinnert. Elf Leinwandbilder mit wellenartig vertikal verlaufenden Formen, deren Anzahl im jeweiligen Bild sich nach einer von Lozano selbst entwickelten mathematischen Formel richteten, wurden in jeweils einem nahezu durchgehenden Malakt ausgeführt. Das Bild „96 Wave“ dauerte schließlich drei Tage lang, bei „192 Wave“ hatte sich die Anzahl der Wellen dermaßen potenziert, dass sie kaum noch auszumachen sind und fast nahtlos in eine an den Rändern ausgefranste Fläche übergehen. In die konzeptionell geplante malerische Aktion der Wellenbilder fließen Momente der Performancekunst ein: der Aspekt der Dauer, ein an die eigenen Grenzen gehender körperlicher Einsatz.
Schon immer waren Texte, Skizzen und Ideenprotokolle in Lozanos Arbeit unverzichtbar. Gerade die abstrakten Bilder hatten einen langen Vorlauf in Form von präzisen Studien – in der Ausstellung stehen sie im unmittelbaren Dialog mit den Bildern und brechen deren musealen Werkcharakter ein Stück weit auf. Sie umfassen Ideen für Performances, tagebuchähnliche Berichte oder Handlungsanweisungen an die Künstlerin selbst, oftmals ist das nicht so klar zu trennen. Ende der Sechzigerjahre nahmen sie als autonome Werke einen immer größeren Platz ein. Mit „Grass Piece“ erteilte sich Lozano die Instruktion, eine große Menge Marihuana zu besorgen und über einen Zeitraum von sechs Wochen den ganzen Tag high zu sein. Paranoia und Müdigkeit führten schließlich zu der lustigen Revision dieses Experiments, dem „No Grass Piece“. Dass es bei diesen sprachorientierten Arbeiten vor allem um die Überwindung des Objektcharakters von Kunst ging, wird in „Dialogue Piece“ klar. Über den Zeitraum mehrerer Monate wurden befreundete Künstlerbekannte zu einem Gespräch in ihr Atelier eingeladen. Das Protokoll dieser Dialoge, dem keine Gesprächsinhalte, sondern nur eine Auflistung prominenter Namen zu entnehmen sind (Robert Smithson, Walter de Maria, Jasper Johns, Richard Serra etc.), diente lediglich der Skizzierung des eigentlichen Kunstwerks, dem Dialog. Obwohl er eine Leerstelle bildete, liefern die Anmerkungen zur jeweiligen Unterhaltung einen lebendigen Eindruck der Gesprächsatmosphäre („Dan Graham and I have important dialogue in that definite changes were immediateley effected because of it“). Mit Arbeiten wie „Dialogue Piece“ suchte Lozano die Verschmelzung von Kunst und Leben weiter voranzutreiben und darüber hinaus die Ebene von Kunst in die immaterielle Sphäre der Gedanken und Ideen zu verlagern.
In zahlreichen Äußerungen wurde aber auch klar, wie stark Lozano vom Kunstbetrieb, seinen Hierarchien und Ausschlussmechanismen deprimiert und angekotzt war. „Throwing Up Piece“ kommt so leicht und lapidar daher, dass man den tatsächlichen Anteil von Ablehnung und Abscheu fast übersehen könnte. In diesem Sprachstück wurde die Anweisung erteilt, im Atelier die zwölf aktuellsten Ausgaben des Kunstmagazins Artforum in die Luft zu schmeißen. In einem manifestartigen öffentlichen Statement formulierte Lozano schließlich die explizit politische Forderung nach der „totalen persönlichen und öffentlichen Revolution“, die die Kunst wie die Institutionen Museum, Galerie und Kunstpresse grundlegend verändern sollte – ein idealistischer Anspruch, der heute angesichts der hysterischen Stimmung kauftoller Sammler und explodierender Preise anachronistisch wirkt. Lozanos Ausspruch „Win First Don’t Last. Win Last Don’t Care“ wirkt da wie ein lakonischer Kommentar. Dabei ist gerade in Zeiten, wo die öffentliche Anerkennung von Künstler/innen fast ausschließlich vom Markt diktiert wird, mit ihrem radikalen Einsatz von Spiel, Experiment und Kritik wieder viel anzufangen.
Bis 27. August 2006 (Katalog, Schwabe Verlag Basel, Preis 60 sFr)