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Archiv-Artikel

Wer hat Angst vorm bösen Amt

BILDUNG Verfassungsschutz raus aus Schulen, fordern Linke, Grüne und der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Für CDU-Innensenator Henkel eine verfassungsfeindliche Einstellung: „Gegen die demokratische Grundordnung“

Der Verfassungsschutz vertrete eine Extremismusthese, die nicht der Wirklichkeit entspreche, sagt Grünen-Politikerin Herrmann. Der Alltagsrassismus aus der Mitte der Gesellschaft werde ignoriert

VON SUSANNE MEMARNIA

Was macht der Verfassungsschutz an Schulen? Ist die skandalgebeutelte Behörde die richtige Institution, um Jugendliche über Gefahren für die Demokratie aufzuklären? Die Frage sorgt derzeit für Zündstoff unter den Parteien. Linke und Grüne forderten kürzlich im Verfassungsschutzausschuss, solche „Informationsveranstaltungen“ der Staatsschnüffler an Schulen zu unterlassen. Eine Resolution mit derselben Stoßrichtung verabschiedete am Mittwochabend auf Antrag der Piraten-Fraktion auch die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichhain-Kreuzberg.

„Eine gewisse Expertise“

Als Reaktion auf die Kritik am Versagen des Verfassungsschutzes bei den NSU-Morden hatte Ende 2012 der damals neue Berliner Verfassungsschutzchef Bernd Palenda angekündigt, die Behörde transparenter und bürgernäher zu machen – unter anderem durch das Angebot von Informationsveranstaltungen für Schulen und andere Gruppen. „Ansprechbarer“ wolle der Verfassungsschutz künftig sein, hatte er versprochen. Als „neue Strategie“ möchte seine Sprecherin Isabelle Kalbitzer das aber nicht verstanden wissen. „Wir wollen wahrgenommen werden als Behörde, die eine gewisse Expertise hat. Das schafft man, indem man darüber spricht, was man tut“, sagte sie der taz.

Gegen den Versuch des Amts, dies auch gegenüber Jugendlichen zu tun, formiert sich zunehmend Widerstand seitens der Opposition. „Der Verfassungsschutz hat in Schulen nichts zu suchen“, eröffnete der Linke-Abgeordnete Hakan Tas im Verfassungsschutzausschuss die Debatte. Die Behörde sei kein Bildungsträger, ihre Mitarbeiter hätten keine pädagogische Ausbildung und seien auch nicht parteipolitisch neutral. Tas verwies auf den „Beutelsbacher Konsens“ von 1976, in dem Pädagogen die Grundsätze politischer Bildungsarbeit festgeschrieben haben. Dazu gehört, dass politische Bildung die Lernenden nicht indoktrinieren darf. „Diesem Anspruch kann der Verfassungsschutz nicht gerecht werden“, sagte der Linke.

Ähnlich argumentierte seine grüne Ausschusskollegin Clara Herrmann: Zuständig für die Aufklärung über die Demokratie und ihre Gegner sei die Landeszentrale für politische Bildung. Zusätzlich gebe es eigens dafür vom Land bezahlte Bildungsträger wie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus. Außerdem vertritt der Verfassungsschutz ihrer Auffassung nach eine Extremismusthese, die nicht der Wirklichkeit entspreche: „Am rechten und linken Ende ist es schlimm, aber in der Mitte ist alles gut.“ Der weit verbreitete Alltagsrassismus aus der Mitte der Gesellschaft komme in dieser Weltsicht nicht vor.

Für die Piraten im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg spricht gegen den Verfassungsschutz auch seine geheimdienstliche Arbeitsweise, die nur einer sehr eingeschränkten öffentlichen Kontrolle unterliegt. Für die SchülerInnen sei daher eine kritische Auseinandersetzung mit den Informationen der Behörde nicht möglich. Genau dieses kritische Hinterfragen aber sollten Kinder heute lernen, argumentiert Ralf Gerlich. Die von seiner Fraktion formulierte Resolution wurde am Mittwochabend von Linken, Grünen, Piraten und zwei Mitgliedern der SPD angenommen.

Allerdings sind sich die Piraten bei diesem Thema uneins. Im Ausschuss des Abgeordnetenhauses zeigte sich Pirat Pavel Meyer durchaus einverstanden mit der gängigen Praxis. „Ich werde lieber vom Verfassungsschutz unterdrückt als vom Finanzamt“, erklärte er. Meyer warf Linken und Grünen indirekt vor, mit ihrer Forderung die Demokratie zu schwächen. „Wollen Sie die Nazis einfach machen lassen?“

In dieselbe Kerbe hieben die CDU- und SPD-Vertreter sowie Innensenator Frank Henkel (CDU). Das „folkloristische Weltbild“ von Hermann und Tas überrasche ihn, sagte Tom Schreiber (SPD). „Wollen wir einen anderen Verfassungsschutz oder weiter das Bild einer verstaubten Behörde?“, fragte er in Richtung der Kritiker. Noch deutlicher wurde Henkel: Mit seiner Kritik am Amt zeige Tas, dass er „offenbar gegen die demokratische Grundordnung“ stehe mit seinem „festgefügten Weltbild“. Der Verfassungsschutz sei das „Frühwarnsystem“ der Demokratie. Er betreibe keine PR mit seinen Schulveranstaltungen, sondern komme seinem gesetzlichen Auftrag nach, die Öffentlichkeit über die Gefahren von Extremismus zu unterrichten.

Für Tas hat die Behörde als Frühwarnsystem allerdings versagt. Die Affäre um V-Männer in der NPD und zuletzt das Versagen bei der NSU-Mordserie zeige doch, „dass der Verfassungsschutz seine eigenen Aufgaben – unsere demokratische Grundordnung zu schützen – nicht zu unserer Zufriedenheit erledigt“, erklärte er der taz. Auch den Friedrichshain-Kreuzberger Piraten Ralf Gerlich machen NPD- und NSU-Affäre skeptisch gegenüber dem Verfassungsschutz: „Eigentlich sollte man ja keine Angst vor dem Verfassungsschutz haben müssen, aber die Vergangenheit hat leider etwas anderes gezeigt.“

Die Debatte tobt auch in anderen Bundesländern. In Thüringen protestierten 2012 Schüler eines Gymnasiums gegen eine Ausstellung der Schlapphüte. In Brandenburg, wo der Dienst sehr aktiv ist und von 2008 bis 2012 nach eigenen Angaben 83 Mal an Schulen referierte, hat sich ein Bündnis aus linken Jugendgruppen gebildet und eine Handreichung „Bildung ohne Geheimdienst“ entwickelt.

In Berlin gibt es die Schulbesuche auch nicht erst seit Palendas Ankündigung – allerdings auf weiterhin viel niedrigerem Niveau als im benachbarten Brandenburg. 2011 gingen Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes viermal zu Vorträgen in Schulen, 2012 dreimal und 2013 wieder viermal. Laut Senatsinnenverwaltung finden die Veranstaltungen ausschließlich ab der 10. Klasse statt. „Wir erklären zuerst meistens unsere gesetzlichen Aufgaben sowie den Unterschied zwischen Polizei und Verfassungsschutz“, beschreibt Kalbitzer den Ablauf. Dann ginge man durch die verschiedenen „Extremismusfelder“ – rechts, links, Islamismus – „und zum Schluss gibt es meistens eine muntere Diskussion“.

Viel Skepsis

Allerdings sind auch in Berlin die Schüler nicht einhellig begeistert. Ihre „basisdemokratische Vertretung“, die LandesschülerInnenvertretung (LSV), spricht sich „eindeutig gegen den Verfassungsschutz in den Bildungseinrichtungen aus; genauso wie gegen die Bundeswehr!“, sagte Micha Schmidt von der LSV-Koordination. „Wir finden, dass Pädagoginnen und Pädagogen den Kindern und Jugendlichen Lust aufs Lernen vermitteln sollen und keine Geheimdienstleute, deren Machenschaften undurchsichtig und zu wenig kontrolliert sind.“