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Archiv-Artikel

Die Freihandelsgespräche der WTO sind gescheitert. Zum Glück Die Hegemonie des Nordens bröckelt

Die Welthandelsgespräche im Rahmen der WTO sind kollabiert. Die rituellen Warnungen vor einer nun einsetzenden Schwemme bilateraler Handelsabkommen konnten nicht ausbleiben: Diese seien angeblich besonders nachteilig für Entwicklungsländer. Dabei wird häufig auf das Problem des US-amerikanischen Unilateralismus verwiesen.

Diese Argumente werden nicht zuletzt auch von der Bundesregierung und der EU-Kommission lanciert. Dabei schließen sie selbst bereits seit Jahren offensiv bilaterale Handelsabkommen ab (etwa mit Südafrika), handeln derzeit weitere aus (Mercosur und AKP-Staaten) und haben zahlreiche neue Vorhaben bereits in der Tasche (zum Beispiel mit China). Trotzdem wird von europäischer Seite öffentlichkeitswirksam, aber wenig glaubwürdig versucht, den USA den schwarzen Peter zuzuschieben. Bewusst wird unterschlagen, dass sowohl US-amerikanische als auch europäische bilaterale Verhandlungsprozesse sowie die Positionen von EU und USA in der abgebrochenen WTO-Runde auf das Gleiche hinauslaufen: eine Liberalisierung des Handels auf allen Ebenen. Eine „multilaterale“ Regelung macht die Sache jedoch nicht besser, denn der Aspekt sozialer und ökologischer Entwicklung bleibt in jeden Fall außen vor. So wäre ein Abkommen in Doha für die Armen in den Entwicklungsländern in jedem Fall ein schlechter Deal gewesen.

Für den globalisierungskritischen Vordenker Walden Bello, Direktor der südostasiatischen NGO Focus on the Global South, ist der Abbruch der Gespräche daher „das Beste, was den Entwicklungsländern seit langer Zeit passiert ist“. Auch internationale Organisationen hatten in einer Vielzahl von Studien ein Desaster vorhergesagt, sollte unter dem derzeitigen Freihandelsparadigma ein Abkommen geschlossen werden. Selbst die Weltbank ging unter optimistischen Annahmen davon aus, dass die Entwicklungsländer in zehn Jahren lediglich 16 Milliarden US-Dollar dazugewinnen würden. Das wäre für den ärmsten Teil der Weltbevölkerung von einer Milliarde Menschen ein erhöhtes Pro-Kopf-Einkommen von nicht einmal zwei Dollar pro Jahr! Und die Carnegie-Stiftung ermittelte, dass die Ökonomien aller afrikanischen Staaten (mit Ausnahme Südafrikas) und vieler lateinamerikanischer Staaten sogar schrumpfen würden.

Die Gewinner wären dagegen eine überschaubare Anzahl transnationaler Konzerne – insbesondere solche aus dem Norden, aber auch das brasilianische Agrobusiness oder die indische Dienstleistungsindustrie. Diese Unternehmen sind es, die die Handelspolitik ihrer Regierungen prägen. In Brüssel sind es der europäische Arbeitgeberverband Unice oder das European Services Forum, in Deutschland vor allem der BDI. Er unterhält eine Sonderdelegation in Genf, und auf seinen Druck hin erklärte Merkel die Verhandlungen zur Chefsache. Die Bundesrepublik ist zwar bereits mit einem sagenhaften Exportüberschuss von 160 Milliarden Dollar weltweit unangefochten Exportweltmeisterin. Diese Position soll nach Meinung der Regierung und der exportorientierten Unternehmen noch weiter ausgebaut werden. Deutschland wäre damit weltweit einer der größten Armutsverursacher. Denn um diese enorme Summe zu erzielen, müssen andere Länder niederkonkurriert werden.

Das Scheitern der WTO ist letztendlich nicht in der Haltung einer einzelnen Regierung zu suchen, sondern Ausdruck langfristiger Verschiebungen der weltwirtschaftlichen Kräfteverhältnisse. Es gibt eine neue Geografie des Handels und eine neue Geografie globaler Produktion. Zentren dieser Entwicklung sind Indien und China. Aber auch Brasilien, Südafrika und Indonesien spielen eine wachsende Rolle.

Die Folge ist, dass die Hegemonie des Nordens bröckelt – etwa in der WTO, aber auch im IWF, der nun erleben muss, dass viele Länder ihre Schulden vorzeitig abbezahlen und sich damit seinen Bedingungen entziehen. Endlich, möchte man dazu sagen – wäre da nicht das Problem, dass sich die globale Konkurrenz um Absatzmärkte und Energieressourcen auch ohne WTO und IWF weiter rasant verschärft.

Die kritischen Stimmen und die globalen sozialen Bewegungen haben großen Anteil daran, dass sich die WTO seit den Protesten in Seattle 1999 in einer Legitimitätskrise befindet. Jetzt ist der Zeitpunkte, um Alternativen Gehör zu verschaffen.

ALEXIS J. PASSADAKIS

Der Autor ist Mitarbeiter bei Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung e. V.