berliner szenen Auf der Kreuzung

Der Unfall

„Fahren Sie da nicht lang“, ruft der smarte Anzugsträger. Er hat seinen schwarzen Minimercedes quer auf die Friedrichstraße geparkt und versperrt die Fahrbahn Richtung Süden. Die Warnblinkanlage ist eingeschaltet. „Da vorne liegt einer unter dem Auto“, erklärt der Businessman. Aber von so einem Typen lässt man sich ja nichts sagen. Schon gar nicht morgens, wenn es das Fahrrad eilig hat. Leider.

Mitten auf der nächsten Kreuzung steht ein Lastwagen. Davor liegt ein leicht zerbeulter Motorroller. Daneben steht ein heftig mit dem Funkgerät korrespondierender Polizist. Darunter wurde ein Wagenheber geschoben, um den Lkw minimal anzuheben. Mindestens fünf Männer sind unter das Führerhaus gekrochen. Ihre Beine zeigen in alle Richtungen. Einer winkt einen weiteren Helfer heran. Es ist nicht zu sehen, was noch unter dem Laster ist. Zum Glück.

Am Straßenrand halten sich zwei junge Frauen im Arm. Sie reden entgeistert in ihre Handys. Daneben steht ein Radfahrer mit Helm. Er schaut gen Lkw. Er hat die Hände gefaltet. Langsam hört man die Sirene eines Rettungswagens näher kommen. Ein Reisebus drängelt sich vorbei. Noch hat die Polizei Besseres zu tun, als den Unfallort weiträumig abzusperren.

Die nächsten hundert Meter die Friedrichstraße runter sind ein einziges Zittern. Das Fahrrad mag nicht mehr rasen. Am liebsten würde es geschoben werden. Sogar an der roten Ampel bleibt es fraglos stehen. Daneben wirbt die Sparkasse: „Was auch im Leben passiert, unsere Altersvorsorge passt sich an.“ Man mag ihr nicht mehr glauben. Auch wenn auf dem Plakat eine junge Frau ihren positiven Schwangerschaftstest anstrahlt.

GEREON ASMUTH