: Schönheit des Aufbruchs – Trauer danach
PROTEST Man sieht die Hoffnung der ägyptischen Aktivisten – und ihre Verzweiflung, wenn die Opposition zusammengeknüppelt wird: Jehane Noujaims Doku „Al midan“ über den Tahrirplatz in Kairo (Forum)
Wie weit weg sind inzwischen die Ereignisse auf dem Kairoer Tahrirplatz? In Jehane Noujaims Dokumentarfilm „Al midan“ werden sie noch einmal unmittelbare Gegenwart. Das liegt an den oft atemberaubenden Bildern, eingefangen von einer Kamera, die mittendrin im Geschehen ist. Die Kamera jubelt mit, wenn die Besetzer des Platzes gemeinsam zu singen beginnen. Sie wird geschubst, wenn es zu Rangeleien mit Anhängern erst von Präsident Mubarak, später dann von Präsident Mursi kommt. Sie wird gejagt, wenn die Armee den Platz räumt. Sie beugt sich mitten in einem Pulk entsetzter Menschen über Verletzte. Zeitzeugenschaft, Augenzeuge sein – die Bilder ziehen einen geradezu in die Proteste hinein.
Gleichzeitig sind die Ereignisse inzwischen so weit weg, dass man sie als Zuschauer automatisch historisch sieht. Wenn die Menge auf dem Platz noch ausgelassen den Rücktritt Mubaraks feiert, weiß man ja schon, dass die Transformation des Landes in ein modernes, liberales Regime danach scheitern wird. Der historische Blick gilt vor allem aber auch für die vielen aufgeregten Diskussionen, die der Film zeigt. Reden, debattieren, streiten – das war vielleicht sogar der Kern des revolutionären Prozesses rund um den Tahrirplatz.
Jehane Noujaim interessiert sich dabei für einzelne Personen. Sie porträtiert immer wieder Menschen, die den Platz als öffentliches Forum für eine Veränderung in Ägypten begreifen. Da ist der junge Aktivist Ahmed Hassan, der manchmal heiser ist vom vielen Reden. Da ist der ägyptischbritische Schauspieler Khalid Abdallah, der, angezogen von den Protesten, nach Kairo gezogen ist, um dort etwas zu bewirken. Da ist Magdy Ashour, der Muslimbruder, der sich zunächst – als es noch gegen Mubarak geht – als Teil einer einheitlichen Oppositionsbewegung fühlen kann; der dann aber – als die Muslimbrüderschaft an die Macht kommt – realisieren muss, dass er sich entscheiden müsste (diese Entscheidung aber einfach verweigert).
Diese Menschen und noch einige mehr begleitet der Film durch 2011 und 2012. Man sieht die Hoffnung in ihren Augen, als die ägyptische Oppositionsbewegung immer mächtiger wird und auf dem Tahrirplatz ein permanentes Volksfest inszeniert. Und man sieht ihre Verzweiflung, wenn das Ganze brutal zusammengeknüppelt wird.
„Al midan“ ist einer dieser eindrücklichen Dokumentarfilme, die nur dann entstehen können, wenn ein Filmteam ein Ereignis zu seiner Sache macht, stellenweise auch unter Einsatz des eigenen Lebens. Natürlich ist dieser Film nicht objektiv, die Bilder wollen Teil der Bewegung sein. Man kann sie vielleicht gerade deshalb gut zur Illustration der kühl-soziologischen These von Niklas Luhmann verwenden, nach der, wenn die Macht unterkomplex wird, Gegenmacht entsteht. Aber so historisch sind die Ereignisse dann doch noch nicht geworden. In den Momenten, in denen der Film die Schönheit des gesellschaftlichen Aufbruchs feiert, bekommt man als sympathisierender Zuschauer geradezu Gänsehaut. DIRK KNIPPHALS
■ 16. 2., CineStar 8, 19.15 Uhr